"Sehr geehrte Damen und Herren, liebes Preiskuratorium, liebe Familie Lübcke, herzlichen Dank für diesen Preis! Den Walter-Lübcke-Demokratie-Preis. Die Demokratie, die für uns alle eigentlich Garant für unsere Freiheit und Selbstbestimmung ist. Die in ihrer Verfassung allen anderen Regeln voran die Würde aller Menschen - und nicht nur die der deutschen - als unantastbar festschreibt. Eine Verfassung, die die Gleichheit aller Menschen betont und dafür sorgt, dass Minderheiten einen besonderen Schutz erhalten, damit sie nicht unter die Räder von Mehrheiten - oder Radikalen - geraten.
Ich fühle mich wirklich geehrt, dass Sie mein Wirken, meinen Namen, über diesen Preis mit unserer Demokratie, mit unserem wundervollen Grundgesetz in Verbindung setzen! Und dennoch gebe ich zu, es bleibt ein riesiger Kloß im Hals. Wegen des Namens, den dieser Preis trägt. Wegen der Historie dahinter. Wegen der unglaublichen Brutalität der Tat. Wegen des Leides des Opfers und seiner Familie. Wegen des nachhaltigen - bei manchen erst mit Verzögerung spürbaren - Entsetzens in großen Teilen der Bevölkerung. Wegen des Beweises der Verletzbarkeit unserer Demokratie, der auch aus dieser Tragödie heraus nicht nur symbolisch, sondern grauenhafterweise tatsächlich und unumkehrbar sichtbar wird.
Wenn es nicht unmöglich wäre, würde ich sehr gerne einen Brief an Walter Lübcke schreiben. Was ist schon unmöglich. Ich hab's getan - und wer weiß, vielleicht hört er ihn ja auch so:
'Lieber Walter Lübcke, so sehr ich es mir auch wünschte, wir durften uns leider nicht persönlich kennenlernen. Dennoch fühlte und fühle ich mich Ihnen nah! Ich war und bin tief beeindruckt davon, wie klar, wie deutlich, wie stark Sie für die Demokratie, ihre Werte und uns Menschen darin eintraten. Sie waren uns allen ein Vorbild darin, deutlich für unser Wertegefüge, für unser Grundgesetz, für ein menschwürdiges und gutes Miteinander einzutreten. Wie für Sie ist auch mein Beruf für mich Berufung - ich glaube, wir hätten uns viel zu sagen, es gäbe viel zum Zuhören, vielleicht auch Anlass für spannenden, konstruktiven Streit. Was wäre das Leben ohne Streit, ohne Reibung, ohne Veränderung.
Wir würden unsere Überzeugungen austauschen, um sie ringen, ohne sie zur Norm zu machen. Wir, die wir die Vielfalt schätzen und wissen, dass wir nicht alle gleich sind, aber doch die gleichen Rechte haben. Wir, die wir wissen, dass wir mit Deutschland im Geburts-Lotto gewonnen haben und daraus keine Überlegenheit, sondern Verantwortung ableiten. Wir, die wir das, was wir denken, sagen. Das, was wir sagen, tun. Und das, was wir tun, dann auch sind. Wie gerne würde ich, statt nun diesen Preis entgegenzunehmen, der Ihren Namen nicht nur wegen dieses Eintretens trägt, sondern, weil Sie uns allen durch antidemokratischen Fanatismus entrissen wurden, nun hier neben Ihnen stehen. Vielleicht, weil wir gemeinsam einen 'Demokratie-Preis' erhalten. Oder weil wir uns verabreden, wie wir Seite an Seite Ideen schmieden, wie man Angriffen auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung noch intensiver begegnen kann.
Wie wir zusammen mit anderen, die - wie auch die anderen sehr berechtigten Preisträger:innen heute hier - ebenfalls alles in ihrer Macht Stehende tun, um Hass, Rassismus, Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus, faschistoiden Ideologien und allem, was uns alle bedroht, intensiv zu begegnen. Deshalb - und weil es mich bewegt, dass auch Ihre Familie zustimmte und beförderte, dass Ihr Name an diesem Preis als sichtbares Mahnmal verwendet werden darf, verspreche ich, ihn zu ehren und ihn dankbar als Auftrag zu empfinden, auch in Ihrem Namen im Sinne des Erhalts und der Weiterentwicklung unserer Demokratie niemals zu schweigen.
Ihre Dunja Hayali.'
Ein Mahnmal, das nötiger scheint denn je. Denn seien wir ehrlich: Es reicht nicht aus, welche Grenzen wachsendem Hass gesetzt werden. Es reicht nicht aus, was dagegen unternommen wird, dass aus Gedanken Worte und aus Worten grausame Taten werden. Wir dürfen uns als Gesellschaft nicht daran gewöhnen, dass die Geister menschenverachtender Vergangenheiten schleichend wieder auf Bühnen erscheinen, durch die Institutionen marschieren - und all das verharmlost wird. Man kann in Deutschland alles sagen, man muss halt mit den Konsequenzen rechnen. Das sagte ich vor einer Weile und meinte damit natürlich Widerspruch, Streit, im schlimmsten Falle so etwas wie 'Freundesentzug'. Ich erntete Shitstorms, Bedrohungen und mehr - von denen, die missverstehen wollen, die eine Erhöhung des eigenen Ichs durch die Erniedrigung des Gegenübers zu spüren vermögen.
Ihr Mann, ihr Vater, erfuhr nicht eine der Konsequenzen, wie ich sie meinte, sondern etwas, das kein anständiger Mensch als Option auch nur eine Sekunde seinen eigenen Gedanken nennen könnte: Er wurde hingerichtet, am sensibelsten aller Orte, dem eigenen Zuhause. Und warum - wegen einer unbequemen Meinung, die am Ende doch auch die Wahrheit spiegelt. Wir dürfen nicht zulassen, dass die so wichtige Meinungsfreiheit/Pressefreiheit gekapert wird durch die, die sie missbrauchen wollen und quasi 'durch die Hintertür' Botschaften gesellschaftsfähig zu machen versuchen, die der Nährboden für Radikalisierung sind - und damit die Grundlage dafür, dass sich einzelne oder Gruppen von Tätern aufgerufen fühlen, ihrer 'Sache' durch einen Mord - oder sogar mehrere - einen unfassbar perversen Ausdruck zu verleihen.
Vielleicht halten wir an dieser Stelle zur Verdeutlichung stellvertretend für diese Entwicklung kurz inne, um eines jungen Mannes zu gedenken, der deswegen in einer Tankstelle erschossen wurde, weil er einen Kunden an die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (!) erinnern wollte. Ich durfte in den letzten Monaten die Laudatio für vier Personen halten, die sich für Gerechtigkeit, eine gesunde Demokratie, für Minderheiten, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus, gegen Homo- und Queerfeindlichkeit, für Ökumene und eine verständnisvolle Annäherung von Religionen einsetzten.
Für das Retten von Menschen unter anderem aus dem Mittelmeer - nicht statt einer Beschäftigung mit einer sinnvollen Migrationspolitik - sondern lediglich vorangestellt - einfach 'nur', damit sie nicht sterben. Und übrigens, wer anprangert, dass hier Grenzen überschritten werden - im Leben von marginalisierten Menschen, ob schwarz, ob Transgender, ob zugewandert, ob mit Migrationsvordergrund, ob jüdisch oder mit Kopftuch - die Grenzen dieser Menschen, meine Grenzen, werden jeden Tag überschritten. In musste jedenfalls in allen von mir gerade erwähnten Laudationen benennen - ich betone: in allen-, dass diese Personen Morddrohungen erhalten. Morddrohungen.
Und ich weiß leider, wie sich das anfühlt. Wie das Vertrauen in den Rechtsstaat, in die eigene Stadt, in den eigenen Kiez, in die eigene Nachbarschaft schwindet. Das ist schlicht und ergreifend nicht akzeptabel! Das ist nichts, was wir, was unsere Gesellschaft übersehen, verniedlichen oder gar leugnen darf! Denn es ist widerwärtig, was an Beleidigungen oder sonstigen Bedrohungen durchs Netz geistert, oder sich direkt in Briefen, Mails, am Auto oder vis-à-vis auf der Straße an bekannte oder unbekannte Personen in unserer Gesellschaft richtet. Ob man bekannt oder nicht bekannt ist, ändert übrigens nichts daran, was man als Empfänger:in dann empfindet. Ja, die Lauten überrollen derzeit Demokrat:innen - diese ziehen sich zurück, werden zur schweigenden Mehrheit, werden zum Teil zu denen, die - wie meine Freundin Carolin Emcke es mal gesagt hat - hassen lassen.
Die nun demnächst eingesetzte neue Bundesregierung hat die große Chance, durch neue Priorität, durch neue Aufmerksamkeit, durch neues Handeln hierfür - also für das genaue Hinhören, aber auch für eine gestärkte Gesellschaft, die ja auch immer eine Gemeinschaft sein sollte, den Boden zu bereiten. Durch Kommunikation, durch klare Positionierungen und Vollzug notwendiger Gesetzesreformen. Ich wünsche mir, dass die Frage 'Wie wollen wir zusammenleben?' als Auftrag angenommen wird und neu gesetzte Rahmen entstehen, die jene schützen und unterstützen, die für unsere Gesellschaft positiv, förderlich, gewinnbringend und mutig einstehen.
Und weil augenscheinlich nach Halle, Hanau, der Hinrichtung von Walter Lübcke und dem täglichen Alltagsrassismus noch kein ausreichender Ruck durch unser Land gegangen ist, greife ich - leicht abgewandelt - Sätze des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog auf: 'Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen gemeinsam Seite an Seite dem Hass und der Gewalt ein Ende setzen und Feinden unserer Demokratie zum Schutze aller Demokraten spürbare Grenzen setzen. Alle sind angesprochen, alle müssen mitmachen.' So also auch ich. Weiterhin. Denn 'ich würde sagen, es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist'.
Liebes Kuratorium, liebe Familie Lübcke, ich danke Ihnen für diese Anerkennung und Wertschätzung. Ich danke auch meinen Freunden, die heute hier und auch woanders sind, weil sie mir Orientierung und Denkanstöße geben, was für mich unerlässlich ist, nicht nur, wenn ich meinen Sturkopf durchsetzen will, sondern insbesondere dann, wenn ich meinen Kompass zu verliere drohe. Und ich danke meiner Familie - einfach dafür, dass Ihr seid, wer Ihr seid, dass Ihr da seid und mich sein lasst... Ich bin mir sehr bewusst, dass ich mit meinem öffentlichen Dasein auch Euch einiges abverlange. Und dir Schwester dafür, dass du mit mir tagtäglich vorlebst, was es heißt ein guter Mensch zu sein."