Ab diesem Mittwoch greift das neue Entlastungspaket. Es ist gut gemeint, aber schlecht fürs Land. Weil es eine Welt suggeriert, die es nicht mehr gibt. Ähnlich wie einst im Kino.
Der Film ging ans Herz, weil sich der Sohnemann sehr ins Zeug legte für seine geschwächte Mutter. Die hatte Mauerfall und Wiedervereinigung krankheitsbedingt verpasst. Und der Sohn tat im Anschluss alles, um der Mama vorzuspielen, dass es die von ihr (scheinbar) heißgeliebte DDR nach wie vor gäbe. Zum Ende des Films aber, als alle ostalgische Gefühligkeit weggeschmolzen war, blieb doch bloß eine ziemlich schonungslose Botschaft: Die alte Welt, so sehr Du sie magst, es gibt sie nicht mehr.
Im neuen Entlastungspaket der Bundesregierung lässt sich hierzu manche Parallele finden. Dass es künftig unbequemer werde für das verwöhnte Deutschland, dass man Wohlstandsverluste hinnehmen, die Friedensdividende zurückzahlen und auch für die Bekämpfung des Klimawandels schmerzhafte Einschnitte hinnehmen müsse – all dies wurde mehrfach formuliert.
- Zweites Entlastungspaket beschlossen
Die Lebenshaltungskosten steigen, die Spritpreise gehen durch die Decke. Für viele heißt es: Wer soll das bezahlen? Nun hat das Bundeskabinett beim Entlastungspaket nachgelegt.
Das zweite Entlastungspaket aber wirkt so, als wolle man das Volk nun doch noch ein bisschen weiterleben lassen in der alten bundesrepublikanischen Wirklichkeit: Teurere Heizkosten? Dämpfen wir mit der Energiepreispauschale! Teurerer Sprit? Steuerrabatt! Öffentlicher Nahverkehr: Ist doch wunderbar billig!
Maßnahmen viel zu breit gestreut
Natürlich kann es sinnvoll sein, Härten abzufedern in Zeiten besonderer Belastungen – bei jenen, deren Existenzgrundlage akut bedroht ist. Viele der beschlossenen Maßnahmen aber weisen eine Streubreite auf, bei der eine handelsübliche Gießkanne wie ein Präzisionswerkzeug wirkt. Die Tankermäßigung für alle ist das schillerndste Beispiel – beschlossen im sicheren Wissen, dass Tanken langfristig teurer wird.
Eher bitter-ironisch als tröstend ist da, dass eben jene Ermäßigung nicht vollständig bei den Autofahrern ankommen dürfte (egal übrigens ob SUV-, Porsche- oder Trabant-Fahrer). Weil statt des ursprünglich geplanten Tankrabatts eine (sehr komplizierte) Steuerermäßigung kommt, dürfte ein nicht unerheblicher Teil der Ersparnis bei den Tankstellen-Betreibern hängenbleiben. Die Formel "gut gemeint/schlecht gemacht" könnte hier recht formvollendet zur Aufführung kommen.
9-Euro-Ticket bringt nur kurzfristig etwas
Damit nicht genug. Die Grünen erkuhhandelten sich in eben jener berüchtigten Nachtsitzung Ende März im Gegenzug ein reduziertes ÖPNV-Ticket. Dass auch dies kein Ausweis erlesener Regierungskunst sein konnte, ließ schon die Namensgebung erahnen: "9-für-90-Tickets" nannte man nicht ohne Stolz jene Monatskarten, mit denen Interessierte in den kommenden drei Monaten für jeweils 9 Euro Bus und Bahn fahren können. 27 Euro für 90 Tage also – offenbar hatte die späte Stunde den kühlen Blick auf die Grundrechenarten getrübt.
Schlimmer indes: In den meisten Städten wird der ÖPNV danach wieder teurer – sprich: Auch hier wird das Erlebte der Wirklichkeit enthoben, ganz goodbye-leninistisch. Ähnlich wie der Film-Sohnemann damals bemüht sich die Regierung auch hier mit einigem Fleiß, den Blick auf die Zumutungen der neuen, sich längst abzeichnenden Realität zu verstellen.
Einige Entlastungen, wie "den Rabatt an den Tankstellen" oder den "Kinderbonus" bekämen die Bürger sofort, sagt Eugénie Zobel von der Zeitschrift Finanztest, über das zweite Entlastungspaket.
Wohlstand wegen billiger Energie aus Russland endet
Ärgerlich ist das deshalb, weil es außer Acht lässt, wie paradiesisch es weiten Teilen der deutschen Bevölkerung im internationalen Vergleich lange Zeit ging – und vor allem: warum. Denn genau dieser Wohlstand wurde auch dadurch gespeist, dass Deutschland sich seine Bundeswehr auf Miniaturformat schrumpfte – und immer mehr billige Energie aus Russland bezog.
Die Bevölkerung nun sanft daran zu erinnern, dass der Deckel für all das bezahlt werden muss, stünde in Einklang mit jener Rede, die der Kanzler kürzlich im Bundestag hielt. Stattdessen bei erstbester Gelegenheit weitere Striche auf eben diesen Deckel zu machen, ist pädagogisch besonders wertlos. Zur Erinnerung: "Zeitenwende" lautete das Leitwort der Rede – nicht "Weiter So".
Die Pointe ist, dass der postpubertäre Protagonist in "Goodbye, Lenin!" es wohl nicht besser wusste – die Ampelkoalitionäre dagegen sehr wohl. Es hätte schon ein Blick auf den Titel des eigenen Koalitionsvertrags geholfen. Drei Worte stehen da: "Mehr Fortschritt wagen", in Großbuchstaben, hübsch rot-grün-gelb verziert.