Nächste Stufe im Streit um den inhaftierten türkischen Menschenrechtsaktivisten Kavala: Staatschef Erdogan lässt den deutschen Botschafter zur "unerwünschten Person" erklären.
Im Streit um den inhaftierten türkischen Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala lässt Staatschef Recep Tayyip Erdogan den deutschen Botschafter, den US-Botschafter sowie acht weitere Botschafter zu "unerwünschten Personen" erklären.
Auf die Einstufung als "persona non grata" folgt in der internationalen Diplomatie in der Regel die Ausweisung.
Streit um Appell zur Freilassung Kavalas
Die Botschafter hatten Anfang der Woche in einem gemeinsamen Appell zur Freilassung des seit vier Jahren ohne Verurteilung im Gefängnis einsitzenden Kulturförderers Kavala aufgerufen. Als Folge hatte die Türkei die Botschafter einbestellt und mit deren Ausweisung gedroht. Ankara bezeichnete den Aufruf der Länder zur Freilassung des Kulturförderers Kavala als "inakzeptabel".
- Deutscher Botschafter in Ankara einbestellt
Zehn Botschafter, darunter auch der Deutsche, riefen in der Türkei zur Freilassung des Kulturförderers Osman Kavala auf. Alle zehn Botschafter wurden nun vorgeladen.
Der Menschenrechtsaktivist war ursprünglich wegen des Vorwurfs festgenommen worden, die regierungskritischen Gezi-Proteste in Istanbul im Jahr 2013 finanziert und organisiert zu haben. Im Februar vergangenen Jahres sprach ein Gericht ihn von diesem Vorwurf frei.
Kavala droht lebenslange Haft
Kavala wurde daraufhin nach zweieinhalb Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, jedoch wenige Stunden später erneut festgenommen - diesmal im Zusammenhang mit dem Putschversuch gegen Erdogan im Jahr 2016 und Spionagevorwürfen.
Im Januar dieses Jahres hob ein Berufungsgericht den ersten Freispruch auf. Bei einer Verurteilung wegen der Spionagevorwürfe droht Kavala lebenslange Haft. Kavalas nächste Gerichtsverhandlung ist für den 26. November angesetzt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR hatte 2019 bereits Kavalas Freilassung gefordert. Die Türkei ignoriert das Urteil bislang, obwohl sie als Mitglied des Europarats eigentlich zur Umsetzung verpflichtet ist.
Deutsche Politiker kritisieren türkische Regierung
Politiker von FDP, CDU und Grünen haben das Vorgehen der türkischen Regierung gegen den deutschen Botschafter kritisiert. "Die mögliche Ausweisung von zehn Botschaftern, darunter die Vertreter von Deutschland und vieler NATO-Verbündeter der Türkei, wäre unklug, undiplomatisch und würde den Zusammenhalt des Bündnisses schwächen", schrieb der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff am Samstag bei Twitter. "Daran kann Erdogan kein Interesse haben."
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) forderte Sanktionen: "Erdogans skrupelloses Vorgehen gegen seine Kritiker wird zunehmend enthemmt", sagte Roth. Man müsse dem "autoritären Kurs Erdogans international die Stirn bieten", Sanktionen erlassen und Rüstungsexporte in die Türkei stoppen.
Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen sprach gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" von einer "außenpolitischen Eskalation". Präsident Recep Tayyip Erdogan "führt sein Land damit weiter in die umfassende Abwendung von Europa und dem Westen".
Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Omid Nouripour, sagte der Zeitung: "Das ist komplett indiskutabel und muss Konsequenzen haben." Man werde sich davon nicht abhalten lassen, für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einzutreten. Man werde "auch in Zukunft einen sehr deutlichen Ton" Erdogan gegenüber anschlagen müssen.
- Merkel wirbt für EU-Türkei-Deal
Bei ihrem voraussichtlich letzten Treffen mit dem türkischen Regierungschef Erdogan hat Kanzlerin Merkel für Kooperation in der Flüchtlingspolitik geworben.