Die EU-Kommission will Atomenergie als nachhaltig einstufen und so den grünen Umbau der Wirtschaft fördern. Kommt jetzt die Kernenergie zurück? Wohl eher nicht.
Strahlendes Comeback - Rettet Atomkraft das Klime?
Spätestens seit die EU-Kommission in ihrer sogenannten Taxonomie den Atomstrom als grüne Energie eingestuft hat, ist die Kernenergie wieder zurück in der Diskussion.
Aber könnte ihr Comeback tatsächlich einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten oder ist sie bloß ein Untoter, der eine Weile durch die Debatte geistert und dabei die Leute mit wohligem Schauder erfüllt?
Tatsache ist: Weltweit sind an die 450 Kernreaktoren in Betrieb. An die 50 weitere befinden sich im Bau, die meisten davon in Indien und China. Fakt ist auch: Immer wieder gehen Reaktoren endgültig vom Netz - weil sie das Ende ihrer Laufzeit erreichen oder die Wartungs- und Reparaturkosten alter Reaktoren den Betrieb unwirtschaftlich werden lassen. Oder weil Länder bewusst aussteigen.
Für die Ampel ist klar: Atomkraft kann keine grüne Energiequelle sein. Doch viele Länder sehen das anders und wollen Kernkraft im Zuge der Taxonomie als klimafreundlich einstufen.
Finnland setzt auf Atomstrom
Sucht man hingegen Beispiele neuer Atommeiler in Europa, landet man schnell in Finnland. Die Finnen sind ähnlich überzeugt von der Kernenergie wie die Franzosen. Selbst die finnischen Grünen sind dafür.
Dort begann 2005 der Bau des neuen Kraftwerksblocks Olkiluoto 3 durch den französischen Atomkonzern Areva (heute Framatome). Der Reaktor sollte 2009 fertig werden und drei Milliarden Euro kosten.
Sicherheitsbedenken und technische Probleme führten zu zahlreichen Verzögerungen. Olkiluoto 3 ging schließlich im Dezember 2021 in Betrieb und kostete ein Vielfaches der ursprünglich postulierten Summe.
Kosten für Reaktorbau laufen aus dem Ruder
Ein ähnliches Bild in Frankreich, dem Mutterland des Atomstroms. Für den neuen Reaktor in Flamanville wurden ursprünglich fünf Jahre Bauzeit und 3 Milliarden Euro Kosten veranschlagt. 2007 ging es los. Zuletzt hieß es, der Meiler solle nun 2023 fertig werden, 16 Jahre nach Baubeginn. Das Preisschild liegt mittlerweile bei 12,7 Milliarden Euro.
Das gleiche Lied in Großbritannien. Zeitplan und Kosten von Hinkley Point C laufen aus dem Ruder. Zwar darf man erwarten, dass im Laufe der Zeit eine gewisse Lernkurve einsetzt, welche Kosten und Bauzeit reduziert. Trotzdem sind diese neuen Reaktoren ohne massive staatliche Subventionen nicht zu betreiben.
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In den USA werden zwei Projekte abgeblasen
Christoph Pistner ist Bereichsleiter für Nukleartechnik und Anlagensicherheit am Ökoinstitut in Darmstadt. Er sagt, auch in den USA gebe es seit den 2000er Jahren intensive Diskussionen um eine Renaissance der Kernenergie.
Ob die anderen beiden jemals fertiggestellt werden, sei unklar. "Das heißt, die Erfahrungen, die wir mit Neubauten der Kernenergie investiert haben, sind nicht gut."
Klimaschutzminister Robert Habeck verteidigt im ZDF den Atomausstieg.
"Follow the money"
Die Ökonomin Claudia Kemfert leitet die Abteilung "Energie, Verkehr und Umwelt" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und berechnet anhand von Daten wie Bau- und Betriebskosten die Rentabilität von Kernkraftwerken. Sie bestätigt den Befund:
"Sie sind wahnsinnig kostenintensiv, sehr viel teurer als andere Energieformen," sagt Kemfert und ergänzt: "Wir haben aus Klimaschutzsicht sehr viel preiswertere Energieformen, insbesondere die erneuerbaren Energien gehören dazu."
Und so ist es kein Wunder, dass bei den weltweiten Investitionen in neue Kraftwerkskapazität der Löwenanteil seit Jahren an eben diese Erneuerbaren geht, neuerdings teils kombiniert mit Batteriespeichern. Und so spricht viel für die Annahme, dass das gegenwärtig diskutierte Comeback der Kernenergie vom Markt beerdigt werden wird.
Carsten Meyer ist Redakteur beim 3sat-Wirtschaftsmagazin makro.
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von Michael Hörz, Moritz Zajonz