Wegen eines Urteils des BVerfG zur Geldpolitik der EZB will die EU-Kommission den Europäischen Gerichtshof anrufen. Brüssel wirft Deutschland eine Vertrags-Verletzung vor.
Es geht um die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB). Der Knackpunkt dabei: Die Vergemeinschaftung von Schulden ausgabefreudiger EU-Länder ist nach dem Europarecht verboten. Kein Politiker soll ungedeckte Schecks verteilen können in der Hoffnung, sparsamer wirtschaftende Nachbarländer würden schon irgendwann dafür aufkommen.
Deshalb darf die EZB einzelnen Staaten kein Geld leihen. Das täte sie aber, wenn sie ihnen Staatsanleihen abkaufte: Denn die sind nichts anderes als ein Kredit, den der Käufer dem Staat gewährt.
Schuldenübernahme auf Umwegen?
Also wählt die EZB einen anderen Weg: Sie kauft die Staatsanleihen nicht den Staaten direkt ab, sondern anderen Akteuren am Finanzmarkt, die sich zuvor damit eingedeckt haben: Banken, Investmentfonds, Privatanlegern. Kritiker meinen, das sei ein Umgehungsgeschäft.
Private Investoren würden zum Beispiel einem hoch verschuldeten Staat wie Italien nur deshalb Staatsanleihen abkaufen (ihm also Geld leihen), weil sie wüssten: Die Kursrisiken dieser Papiere sind begrenzt, weil man sie ja an die EZB weiterverkaufen kann. Indirekt würde also die EZB den verschuldeten Staaten doch Geld leihen - auf dem Umweg über private Zwischenhändler, denen sie Staatsanleihen abkauft.
Die EZB entgegnet, sie kaufe Staatsanleihen von Banken, um die Finanzinstitute mit Geld zu versorgen. Das Ziel: Sie sollen das Geld weiterleiten - in Form günstiger Kredite für Unternehmen und Konsumenten. Das rege Investitionen und Konsum an, schaffe Wachstum und stabilisiere die Euro-Zone.
- Luft zu belastet: EuGH verurteilt Deutschland
Deutschland hat jahrelang die EU-Grenzwerte für das gesundheitsschädliche NO2 erheblich überschritten. Die Bundesrepublik habe damit EU-Recht gebrochen, entschied der Gerichtshof.
Streit zwischen den Gerichten über EZB-Politik
Bei der rechtlichen Bewertung dieser Staatsanleihenkäufe kamen der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht zu unterschiedlichen Ergebnissen: Der EuGH fand die Praxis in Ordnung, weil ja dabei kein Geld direkt von der EZB an irgendeinen Staat fließt.
Das Bundesverfassungsgericht fand aber, die Anleihenkäufe seien nicht durch das Europarecht gedeckt. Karlsruhe verwies auf die Risiken der Politik des billigen Geldes: Sparer müssten die Inflation fürchten, Immobilienpreise könnten überproportional steigen. Für solche politischen Folgewirkungen seien die nationalen Parlamente verantwortlich, nicht die Europäische Zentralbank.
Ist die EU überhaupt zuständig?
Nun darf Karlsruhe zwar nicht über europarechtliche Fragen entscheiden - wohl aber darüber, ob ein Thema überhaupt in die europäische Verantwortung gehört. Mit ihren Anleihenkäufen überschreite die EZB aber die Kompetenzen, mit denen der Bundestag und die anderen nationalen Parlamente sie ausgestattet hätten, meint das Bundesverfassungsgericht. Denn die EU darf nur das regeln, womit die nationalen Parlamente sie durch ihre Zustimmung zu den Europäischen Verträgen beauftragt haben.
Die EU-Kommission verlangt, dass Deutschland das Votum des Europäischen Gerichtshofs akzeptiert. Es geht also gar nicht mehr um die Geldpolitik der EZB, sondern ums Prinzip: Der EU droht Auflösung, wenn die Rechtsprechung ihres höchsten Gerichts nicht mehr gilt. Deshalb das sogenannte "Vertragsverletzungsverfahren", das Brüssel vorbereitet.
Der EuGH soll feststellen, dass Deutschland mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Europäischen Verträge verletzt hat. Praktische Folgen dürfte eine solche Feststellung aber zunächst einmal nicht haben.
Günther Neufeldt ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.