Gipfelpremiere für Kanzler Scholz: Die Fußstapfen seiner Vorgängerin auf europäischem Parkett sind groß - aber auch die Baustellen in der EU.
Auf dem roten Teppich im EU-Ratsgebäude zählt der neue Kanzler kurz die Themen auf, um die es in den nächsten Stunden gehen wird: Flüchtlinge in Belarus, Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine, Corona-Pandemie. "Große Aufgaben also", sagt Olaf Scholz vor seinem ersten EU-Gipfel. Immerhin beantwortet er noch zwei Journalistenfragen - was seine Vorgängerin in diesen Situationen stets vermieden hatte. Scholz' erster Gipfel-Auftritt: zurückhaltend und unspektakulär.
Klare Botschaften in Richtung Europa waren von Scholz am Tag vor dem Gipfel gekommen. "Das Gelingen Europas ist unser wichtigstes nationales Anliegen", sagte er in seiner ersten Regierungserklärung im Bundestag. "Zusammenhalt und Souveränität - das ist die Aufgabe für Europa. Für das Gelingen des souveränen Europas trägt unser Land eine besondere Verantwortung. Nicht nur wegen unserer Geschichte."
Eher Pragmatiker als Vordenker
Wie er seine Rolle in Europa sieht, hat Scholz bisher noch nicht verraten. Seine Vorgängerin Angela Merkel wurde in der EU stets für ihr Krisenmanagement gefeiert. Ihr wurde aber auch vorgeworfen, keine Vision für Europa entwickelt zu haben. Scholz ist wie sie eher Pragmatiker als Vordenker.
Der Koalitionsvertrag gibt dazu allerdings schon einige Ideen her: Befürwortet wird darin die Weiterentwicklung der EU zu einem "föderalen europäischen Bundesstaat". Dass das nicht überall gut ankommt, bekam Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Warschau zu spüren: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sprach von "Gleichschaltung und Gleichmacherei", die seine Regierung ablehne.
Noch deutlicher wurde Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban: "Die neue linksliberale Regierung strebt weg von Kohls Europa der Vaterländer hin zu einer migrations- und genderfreundlichen, deutsch geprägten, zentralistischen Politik aus Brüssel", kritisierte Orban in der "Bild".
Scholz: Kein Vorstoß ohne Frankreich
Der nationalkonservative Gegenwind kommt nicht überraschend. Viel wichtiger wird für Scholz aber sein, wie er mit seinem wichtigsten Verbündeten, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, zurechtkommt. Der hat im ersten Halbjahr 2022 die EU-Ratspräsidentschaft - und eine Wahl zu bestehen.
Scholz versprach in seiner Regierungserklärung, dass er in Europa keine Initiative ohne Frankreich ergreifen werde. "Die deutsch-französische Verständigung ist die notwendige Bedingung für Fortschritt in Europa", sagte er.
Ukraine-Konflikt, Corona, Energiepreise ...
Die Baustellen sind jedenfalls groß. Gleich an seinem ersten Gipfeltag musste sich Scholz am Donnerstag mit der Corona-Pandemie, dem Anstieg der Energiepreise und dem Ukraine-Konflikt beschäftigen.
Scholz hatte mit Blick auf den Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine betonte er, dass die Unverletzbarkeit der Grenzen eine der ganz wichtigen Grundlagen des Friedens in Europa sei. Man werde "alles dafür tun, dass es bei dieser Unverletzbarkeit tatsächlich bleibt".
Der Gipfel jedenfalls formuliert in seinem Abschlussdokument eine eindeutige Botschaft: Sollte Russland die Ukraine angreifen, hätte das für Moskau "massive Konsequenzen" mit "erheblichen Kosten" zur Folge, einschließlich "restriktiver Maßnahmen", die mit Partnern koordiniert würden.
Für Scholz ist diese Krise zu Beginn seiner Amtszeit wohl zunächst die schwierigste Bewährungsprobe in Europa. Viele weitere werden aber folgen, soviel ist sicher.
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