Was bedeutet der EU-Gipfel in Brüssel für die Mitgliedsaussichten der Ukraine und der Westbalkanstaaten, kann die EU sich reformieren und was tun gegen hohe Energiepreise?
1. Wird die EU der Ukraine den Beitrittskandidaten-Status verleihen?
27-mal "Ja" zum Kandidatenstatus für die Ukraine, dafür will sich Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem EU-Gipfel einsetzen, also für eine einstimmige Entscheidung aller Staats-und Regierungschefs und -chefinnen. Tatsächlich scheint das möglich, seit die EU-Kommission letzte Woche die Verleihung des Beitrittskandidatenstatus empfohlen, sie aber gleichzeitig mit Bedingungen versehen hat.
So müsse die Ukraine noch beim Rechtsstaat, beim Kampf gegen Korruption und Geldwäsche und beim Schutz von Minderheiten nachbessern. Erst wenn es hier deutliche Fortschritte gibt, könnten EU-Beitrittsverhandlungen beginnen. Mit diesen Einwänden hat die EU-Kommission Skeptiker wie die Niederlande, Dänemark, Frankreich und Portugal anscheinend überzeugt.
Natürlich kann es immer Überraschungen geben, aber es scheint, als sei der Widerstand in sich zusammengefallen. Auch Moldawien wird den Status eines Beitrittskandidaten bekommen, Georgien dagegen wird zuerst weitere Reformen vorweisen müssen.
2. Heißt das, dass die Ukraine jetzt bald EU-Mitglied wird?
Klares Nein. Der Kandidatenstatus ist eine politische Entscheidung, die noch nichts darüber aussagt, ob die EU tatsächlich Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beginnt, es fließen auch noch keine EU-Vorbeitritts-Hilfen.
Erst wenn die Ukraine eine Reihe weiterer Reformen durchführt, wird die EU-Kommission den 27 EU-Mitgliedsstaaten die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen empfehlen, die wiederum einstimmig beschlossen werden müssen.
Und - wie man an der Türkei oder an Serbien sieht, sind auch beginnende Verhandlungen noch keine Garantie, dass das Land tatsächlich der EU beitritt.
3. Was bedeutet der Gipfel für die wartenden Westbalkanstaaten?
Zunächst eine große Enttäuschung. Die sechs Länder des Westbalkans (Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Albanien, Kosovo) die zu einem Vorgipfel am Donnerstagmorgen nach Brüssel eingeladen sind, sind frustriert, dass die Ukraine sie überholt und hatten zwischenzeitlich überlegt erst gar nicht anzureisen.
Nord-Mazedonien ist besonders sauer: seit 2005 EU-Beitrittskandidat und längst reif für Verhandlungen, die aber erst durch Griechenland, dann durch Frankreich und jetzt von Bulgarien blockiert werden. Die Bulgaren verlangen, dass Nordmazedonien die "bulgarischen Wurzeln" seiner Sprache und Kultur anerkennt.
Obwohl der bulgarische Regierungschef Petkov am Vorabend des Gipfels über ein Misstrauensvotum stürzte, scheint es möglich, dass Bulgarien sein Veto aufgeben könnte. Dann gäbe es vielleicht doch noch ein positives Signal Richtung Westbalkan.
4. Wann und wie wird die EU sich selbst reformieren?
Tatsächlich steht in den sogenannten "Kopenhagener Kriterien" zur Erweiterung der EU, dass eine Voraussetzung für die Aufnahme neuer Länder die Reform der EU nach innen ist. Schon jetzt sei ein Europa mit 27 Mitgliedern zu schwerfällig, klagen EU-Diplomaten. Wie kompliziert würde es erst mit über 30 EU-Mitgliedern?
Immer wieder wird (auch von der deutschen Regierung) das Einstimmigkeitsprinzip genannt, das zumindest in einigen Feldern der Außenpolitik abgeschafft werden soll, zudem soll die Anzahl der EU-Kommissare verringert werden (bislang gilt, jedes EU-Land = 1 Kommissar/in).
Die Wahrheit aber ist, dass gerade kleine Länder ihr Veto-Recht niemals aufgeben werden, und Regierungschefs immer wieder versuchen ihre Ziele zu erreichen, indem sie EU-Entscheidungen blockieren. Eine Scheindebatte, auch auf diesem EU-Gipfel.
5. Wie kann die EU die galoppierenden Energiepreise stoppen?
Auch dieses Thema ein Dauerbrenner auf den letzten fünf EU-Gipfeln. Besonders die südlichen EU-Mitgliedsstaaten wünschen sich eine Deckelung der Energiepreise und eine Neugestaltung des Strommarktes. Der italienische Ministerpräsident Draghi wird das "price-cap" wieder ins Gespräch bringen, bekommt dafür aber nur wenig Unterstützung.
Durch die Einführung eines Embargos gegen russisches Erdöl zum Jahresende habe sich die Frage einer Deckelung des Ölpreises für Europa erledigt, so EU-Diplomaten, und auch beim Gas setze sich die Ansicht durch, dass Europa weg müsse von fossilen Energien hin zu erneuerbaren.
Preisdeckel könnten aber auf internationaler Ebene sinnvoll sein - und werden deshalb am Wochenende beim G7-Gipfel in Elmau erneut auf der Tagesordnung stehen.
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