Der Skandal rund um EU-Vize Kaili sorgt weiter für Entsetzen. Von der Leyen regt einen Ethikrat an, es wird der "größte Korruptionsskandal der europäischen Politik" befürchtet.
Das EU-Parlament fordert immer klare Kante gegen Korruption und steht nun nach Korruptionsvorwürfen selbst unter Druck. Abgeordnetenbüros werden von Ermittlern durchsucht.
Die Korruptionsaffäre im Europäischen Parlament hat Entsetzen bei europäischen Politikern und den Ruf nach Konsequenzen ausgelöst. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen brachte die Bildung eines Ethikrats zur Überwachung von EU-Institutionen ins Spiel. In Berlin zeigte sich Kanzler Olaf Scholz entsetzt darüber, "dass so etwas offenbar möglich ist".
Roberta Metsola, Präsidentin des EU-Parlamentes, kündigte eine interne Untersuchung an. Der Fall sei gleichbedeutend mit einem "Angriff auf die europäische Demokratie".
Am frühen Montagabend wurde bekannt, dass die belgische Staatsanwaltschaft Räume im EU-Parlament durchsucht hat.
Offenbar keine Abstimmung zu Visa-Liberalisierung
Das Europäische Parlament werde voraussichtlich die für Montag vorgesehene Abstimmung über die Visa-Liberalisierung für Katar von der Tagesordnung nehmen, sagte der Vizepräsident des Europaparlaments, Rainer Wieland (CDU). "Das (...) wäre ein erstes starkes politisches Signal."
Hintergrund ist der Verdacht, dass der Golfstaat Katar hinter Korruptionsversuchen stehen könnte. Katar hat dies dementiert.
Zur Festnahme der griechischen Vizepräsidentin Eva Kaili sagte der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff der "Bild", die Vorgänge seien traurig, unglaublich und auch Grund für die 44-Jährige, "ihren Posten sofort zu räumen". Bisher ist Kaili, die laut Medienberichten in U-Haft genommen wurde, nur freigestellt.
Die Eurostat-Affäre, Geld von der Tabaklobby, Luxusgeschenke aus Aserbaidschan: Für das EU-Parlament ist der Fall Kaili nicht der erste Korruptionsskandal.
Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer sagte:
Er empfinde Zorn und Bitterkeit, "weil schamloses Handeln Einzelner die ganze Institution zu beschädigen droht".
Radtke: Katar macht auch vor Politikern nicht Halt
Der EU-Parlamentarier Dennis Radtke (CDU) sagte der "Bild":
"Und leider ist das jetzt in Europa gelungen, im Europäischen Parlament, in dem die gewählten Vertreter von 27 Nationen sitzen", so Radtke. Er betonte, er befürchte "den größten Korruptionsskandal der europäischen Politik, wenn bei den Festgenommenen zu Hause schon Tüten mit Geldscheinen von mehreren 100.000 Euro gefunden wurden". Man müsse davon ausgehen, "dass noch viel mehr aufgedeckt wird".
ZDF-Reporter Gunnar Krüger berichtet aus Brüssel über die Dimension des Korruptionsskandals um Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili.
Er forderte die EU-weite Überprüfung und Erweiterung der Transparenz- und Lobbyregeln für Drittstaaten und von ihnen gegründeten Lobbyfirmen sowie einen Untersuchungsausschuss zur Klärung der Vorwürfe gegen Kaili.
Vorwürfe gegen EU-Vize Kaili
Kaili soll Geld aus dem Golfstaat Katar kassiert haben, damit sie für das WM-Gastgeberland Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. Die Sozialdemokratin aus Griechenland wurde zusammen mit fünf anderen Verdächtigen festgenommen. Vier davon kamen am Sonntag per Haftbefehl in Untersuchungshaft - darunter laut Medien auch Kaili selbst.
Im Raum steht neben Vorwürfen der Bestechung und Bestechlichkeit auch der Verdacht der Geldwäsche.
Eine WM in der Wüste. Im Winter. Aller Kritik zum Trotz: Sportjournalist Jochen Breyer und Autorin Julia Friedrichs gehen der Frage nach, wie Katar dieser Coup gelingen konnte.
Mit Blick auf Kaili sagte die deutsche EP-Vizepräsidentin, Katarina Barley (SPD):
Die Grünen-Ko-Fraktionschefin im EP, Terry Reintke, sagte, dass Kaili sofort zurücktreten müsse.
EU-Parlamentarier fordert Rücktritt Kailis
"Die im Raum stehenden Vorwürfe sind heftig: Eine Abgeordnete, die gegen Geld versucht, Parlamentsbeschlüsse zu beeinflussen", sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe bei der konservativen EVP-Fraktion im EP, Daniel Caspary.
Er forderte zudem Aufklärung der europäischen Sozialisten: "Sind noch weitere Abgeordnete oder Mitarbeiter beteiligt? Wer hatte möglicherweise Kenntnis?"
Schadenfreude in Ungarn
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban zeigte sich unverhohlen schadenfroh. "Willkommen im Europäischen Parlament", schrieb er auf Twitter. "Und da haben sie gesagt, dass sie sehr besorgt über die Korruption in Ungarn seien", schrieb der rechtsnationale Staatschef weiter.
Orbans Seitenhieb erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem Ungarn im Streit mit der EU-Kommission um Rechtsstaats-Probleme und Reformen zur Korruptionsbekämpfung der Entzug von insgesamt mehr als 13 Milliarden Euro droht. Das EU-Parlament fordert die Kommission regelmäßig auf, gegenüber Ungarn eine harte Linie zu vertreten.