Die EU setzt neue Maßstäbe bei fairem Handel: Unternehmen sollen für die Einhaltung von Menschenrechten weltweit sorgen – von der Plantage bis nach Hause. Nicht allen gefällt das.
Keine Kinderarbeit in indischen Fabriken, keine Zwangsarbeit auf chinesischen Baumwollplantagen, keine Verschmutzung afrikanischer Flüsse: Die Kernbotschaft des am Mittwoch von der EU-Kommission vorgestellten Lieferkettengesetzes an Unternehmen in der EU ist klar: Sorgt dafür, dass weder Mensch noch Natur weltweit aufgrund eurer Produkte leiden müssen.
Was soll das EU-Lieferkettengesetz bringen?
Fairen Handel – das, was Initiativen bislang mit Gütesiegeln förderten, macht die EU zum Gesetz. Die internationale Arbeitsteilung hat dazu geführt, dass einige Unternehmen die genauen Produktionsbedingungen vor Ort nicht kennen oder ignorieren. Die EU will sie dazu verpflichten, genau hinzusehen und sicherzustellen, dass es an keiner Stelle ihrer Lieferkette Missstände gibt.
Beispiel Textilindustrie: Die EU sieht vor, dass Modekonzerne sichergehen müssen, dass nirgends Menschen bei der Herstellung ihrer Kleidung ausgenutzt werden – weder auf Baumwollplantagen oder in Nähereien noch beim Transport. Über das Lieferkettengesetz hinaus arbeitet die Kommission ein Importverbot für Produkte aus Kinder- und Zwangsarbeit.
"100% Baumwolle" – dieses Label in einem Kleidungsstück scheint für Qualität zu stehen. Tatsächlich aber sind Anbau und Verarbeitung der Faser hoch problematisch für Mensch und Natur.
Welche Unterschiede gibt es zum deutschen Lieferkettengesetz?
In Deutschland wurde bereits 2021 ein Lieferkettengesetz verabschiedet, das 2023 in Kraft tritt. Die geplante EU-Richtlinie ist allerdings deutlich strenger.
Die wesentliche Unterschiede sind:
- Die EU sieht vor, dass Unternehmen ihre ganze Lieferkette überprüfen müssen, das deutsche Gesetz betrifft nur direkte Zulieferer.
- Die EU zielt auf Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitern und 150 Millionen Euro Jahresumsatz, das deutsche Gesetz auf Firmen mit mindestens 3.000 (ab 2023) bzw. 1.000 (ab 2024) Mitarbeitern. Für Branchen mit einem höheren Risiko für Missbrauch (z.B. Textil, Landwirtschaft oder Bergbau) zieht die EU bei 250 Mitarbeitern die Grenze.
- Die EU sieht eine zivilrechtliche Haftung vor. Dies bedeutet, dass europäische Unternehmen für Missstände entlang ihrer Lieferkette verklagt werden könnten. Deutschland beließ es bei Bußgeldern.
- Umweltschäden sind im EU-Vorschlag stärker berücksichtigt.
Kann das EU-Lieferkettengesetz wirklich etwas verändern?
Vonseiten einiger Nichtregierungsorganisationen wurde das deutsche Gesetz als "zahnloser Tiger" kritisiert. Diesem Vorwurf gibt es gegenüber dem EU-Plan nicht. "Es hat wirklich Potenzial", sagt Stefanie Lorenzen, Professorin an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht sowie German-Watch-Vorstandsmitglied.
Sie sieht allerdings Schlupflöcher: Zum Beispiel, dass Unternehmen nur "etablierte Geschäftsbeziehungen" überprüfen müssen. Dies könne falsche Anreize schaffen, Zulieferer ständig zu wechseln, um das Gesetz zu umgehen.
Der Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts sinkt. Anhaltende Lieferschwierigkeiten bei bestimmten Konsumgütern kommen durch Lkw-Fahrermangel zustande. Grund dafür: schlechte Bezahlung und Arbeitsbedingungen.
Geht die EU zu weit oder nicht weit genug?
Mit wenigen Ausnahmen entspricht der Vorschlag einem Entwurf, den das EU-Parlament 2021 der Kommission vorgelegt hat. Anna Cavazzini (Grüne) lobt den Plan:
Für den Bundesverband der deutschen Industrie und den Bundesverband deutscher Arbeitgeber geht der EU-Vorschlag zu weit. Sie befürchten zu viel Bürokratie.
EU-weit betrifft die Richtlinie etwa 12.800 Unternehmen. Im nächsten Schritt verhandeln EU-Parlament und Rat das Gesetz. Zu erwarten ist, dass sich vor allem die Debatte zwischen den Mitgliedsstaaten im Rat hinziehen wird. Nicken beide Organe die Richtlinie so ab, müsste Deutschland sein eigenes Gesetz nachschärfen.