Angesichts von mehr als einer Million ukrainischen Flüchtlingen aktiviert die EU eine Notmaßnahme. Sie vereinfacht, woran die EU-Politik in den vergangenen Jahren gescheitert ist.
Der Ukraine-Krieg markiert eine Zeitenwende, auch in der Flüchtlingspolitik. Denn erstmals wendet die EU die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie an. Sie war 2001 als Folge der Jugoslawien-Kriege beschlossen worden, wurde aber nie genutzt.
Die Regelung macht künftig möglich, was gestern noch als unmöglich galt: einen pauschalen Schutzstatus für Kriegsflüchtlinge ohne aufwändige Prüf- und Asylverfahren, dafür mit einigen Freiheiten für Geflüchtete. An diesem Donnerstag diskutierten die EU-Innenminister die Details Brüssel. Die Richtlinie soll in den kommenden Tagen in Kraft treten.
Wie ist die Flüchtlingssituation in der Ukraine?
Die UN geht davon aus, dass seit Beginn der russischen Invasion bereits mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine geflohen sind. Bislang zog es viele von ihnen zu Verwandten und Bekannten in der EU.
Tagelang hat ein Team des britischen Senders ITV über die Kämpfe in der Hafenstadt berichtet. Während der Flucht raus der Stadt treffen die Journalisten und Kameraleute auf die russische Armee.
Den Löwenanteil mit etwa 500.000 aufgenommenen Geflüchteten trägt bisher Polen, aber auch in der Slowakei, Rumänien und Ungarn kommen täglich Tausende an. Die EU-Kommission rechnet mit bis zu 6,5 Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine.
Was bringt die Massenzustrom-Richtlinie?
Keine nationalen Alleingänge und kaum Bürokratie: Das, woran europäische Flüchtlingspolitik in den vergangenen Jahren scheiterte, umgeht die Richtlinie flugs. Ukrainischen Geflüchteten wird der vorübergehende Schutzstatus pauschal gewährt, für mindestens für ein Jahr, vorbehaltlich bis zu drei Jahre.
Menschen aus der Ukraine schildern ihren Alltag im Krieg
Zudem sollen Ukrainer eine Arbeitserlaubnis bekommen und sozial abgesichert sein. Feste und bislang hoch umstrittene Verteilungsquoten unter den EU-Mitgliedsstaaten sieht die Richtlinie nicht vor. Sie müssen lediglich angeben, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen können.
Was kommt auf Deutschland zu?
Eine Zahl nannte Nancy Faeser für Deutschland noch nicht. "Wir wissen es nicht", sagte die Bundesinnenministerin am Donnerstag. Seit vergangener Woche haben sich gut 5.000 Menschen aus der Ukraine in Deutschland registrieren lassen. Hier greift nun der Königsteiner Schlüsse.
Immer mehr Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine treffen in München ein. Die Stadt hatte bereits vor Tagen den Katastrophenschutz einberufen. Viele Münchner bieten freiwillig an, Geflüchtete aufzunehmen.
Das heißt, dass die Bundesländer abhängig von Größe und Wirtschaftskraft Flüchtlingen aufnehmen müssen: Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland zum Beispiel gut 21 Prozent, Bremen knapp ein Prozent. Wer zu Freunden oder Familie andernorts will, kann dort laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber auch problemlos hin. An der Umsetzung der Arbeitserlaubnis werde ressortübergreifend in der Bundesregierung derzeit noch gearbeitet.
Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik?
Seit 2015 sind Flucht und Migration große Streitthemen in der EU. Länder wie Polen und Ungarn stemmen sich gegen ein solidarisches Verteilungssystem. Aktuell nehmen diese beiden die meisten Menschen aus ihrem Nachbarland Ukraine auf. Unter anderem EU-Innen-Kommissarin Ylva Johnsson und Faeser hegen deshalb bereits leise Hoffnungen auf einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik. Auch über die Anwendung der Richtlinie herrscht unter den EU-Mitgliedsstaaten große Einigkeit.
In einem Schreiben der Kommission heißt es, eine "außerordentliche Situation von Massenzustrom" ist Grundlage dieser Maßnahme. Den Syrien-Krieg, Auslöser der bislang größten Flüchtlingskrise in diesem Jahrhundert, hatten die EU-Staaten nicht als eine solche Ausnahmesituation bewertet. Dass wie in der Ukraine mehr als eine Million Menschen innerhalb weniger Tage flüchteten, gab es allerdings selbst in Syrien nicht.
Streit um Nicht-Ukrainer
Staaten wie Polen, aber auch Österreich signalisieren bereits: Für sie ist die Richtlinie eine Notmaßnahme. Mehr nicht. Dass sie Nicht-Ukrainer, die ebenfalls aus der Ukraine in die EU flüchten, von der Anwendung der Richtline ausnehmen wollen, unterstreicht diese Einstellung.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hält entgegen: "Wir dürfen da keine Apartheidszüge spielen lassen. Alle Menschen aus der Ukraine, egal welche Hautfarbe, welche Sprache, welche Religion, sind Menschen."
- Einigung auf humanitäre Korridore in Ukraine
In einer zweiten Verhandlungsrunde haben sich Russland und die Ukraine auf die Schaffung humanitärer Korridore in besonders umkämpften Gebieten der Ukraine verständigt.