Europa stand auf dem Gipfel kurz vor einer Blamage. Wie der Ratspräsident das Ergebnis verkauft, ist aber vor allem eines: maximal übertrieben. Ein Kommentar.
Mit dem beschlossenen Öl-Embargo light sei Europa "in letzter Minute an der Blamage vorbeigeschlittert", so ZDF-Korrespondent Florian Neuhann in Brüssel.
Kompromisse gehören zum Wesen der Europäischen Union - seit es sie gibt. Der Kompromiss zum Embargo auf russisches Öl infolge des Krieges in der Ukraine von heute Nacht reiht sich ein in eine lange Liste von Gipfelentscheidungen in letzter Minute, gegen alle vorherigen Prognosen. Gerade so hat dieser Kompromiss die Europäische Union vor einer echten Blamage bewahrt. [Worauf sich die EU geeinigt hat - der Kompromiss.]
Europa wacht mit einem blauen Auge auf
Jetzt wacht Europa mit einem blauen Auge auf - so sehr hat Ungarns Ministerpräsident, ohne Rücksicht auf Kollateralschäden, den anderen Staats- und Regierungschefinnen und -chefs Zugeständnisse abgepresst. Diese Art der Erpressung wird Spuren hinterlassen - das Vertrauen zwischen den Spitzen der EU ist vorerst geschwunden. Und aus dem Öl-Embargo ist bestenfalls ein "Embargo light" geworden.
Erstens nämlich gilt es - was lange klar war, aber nochmal festzuhalten ist - eben nicht von heute auf morgen. Der Großteil der EU steigt erst Ende des Jahres aus russischem Öl aus.
Zweitens haben sich die EU-Spitzen auf eine großzügige Ausnahme für Ungarn, die Slowakei, und Tschechien geeinigt - von der am Dienstagmorgen nicht mal klar ist, wie lange sie gelten soll und mit welchen Zugeständnissen man sie erkauft hat.
Und drittens überweist Europa weiterhin viel täglich Geld für einen anderen fossilen Brennstoff, das russische Gas - und füllt damit die Kriegskasse Putins. Doch über ein Embargo auf Gas ist auf dem Gipfel gar nicht erst gesprochen worden - zu groß sind da die Abhängigkeiten, allen voran auch in Deutschland.
Ratspräsident Michel übertreibt maximal
Nun muss man den Ratspräsidenten Charles Michel verstehen, wenn er am Ende eines langen Tags die Ergebnisse "seines" Gipfels als Erfolg verkaufen will. Doch wenn Charles Michel von "maximalem Druck" auf Russland spricht, ist das vor allem eines: maximal übertrieben. [Die aktuellen Entwicklungen im Krieg in der Ukraine im Liveblog.]
Florian Neuhann ist ZDF-Korrespondent in Brüssel
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