Der frühere EU-Parlamentschef Schulz (SPD) zieht ein positives Fazit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die Merkel-Regierung habe die EU "relativ gut" durch die Krise geführt.
Noch bis zum 31.Dezember hat Deutschland den Vorsitz in der EU-Ratspräsidentschaft. Die Amtszeit wurde stark durch die Folgen der Corona-Pandemie dominiert. Daneben beschäftigte sich der Ratsvorsitz aber auch mit den Herausforderungen des Klimawandels.
ZDF: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft fiel mit einer nie dagewesenen Krise zusammen. Steht die EU danach besser oder schlechter da?
Martin Schulz: Die EU steht jetzt besser da. Das ist eindeutig.
In meinen Augen ist der größte Fortschritt, dass die EU-Kommission zum ersten Mal Geld an den Finanzmärkten aufnehmen kann, abgesichert durch die Mitgliedsstaaten. Das hätte ich vor wenigen Monaten noch nicht für möglich gehalten.
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ZDF: Hätten Sie für möglich gehalten, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dafür die Rüstung der Sparkanzlerin ablegt?
Schulz: Angela Merkel kommt in solchen Dingen meist sehr spät zu Potte, auch hier. Das waren Vorschläge, die lagen seit zehn Jahren auf dem Tisch. Sie hätten bereits während der großen Finanzkrise angewendet werden müssen. Aber besser spät als nie.
Ein halbes Jahr hatte Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne – mitten in der Corona-Krise. ZDF-Korrespondent Stefan Leifert schätzt ein, was sich dadurch in der EU getan hat.
ZDF: Gelungen ist es, die Auszahlung von EU-Hilfen an das Rechtsstaatlichkeitsprinzip zu koppeln. Wie wirksam ist dieses Instrument?
Schulz: Dass es überhaupt existiert, ist ein Fortschritt. Es ist bei weitem nicht das, was man braucht. Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, es ist eher ein Haushalts-Kontroll-Instrument als ein Durchsetzen des Rechtsstaats-Anspruchs, den die EU von ihren Mitgliedsstaaten verlangen muss. Aber wenn es einmal da ist und wenn es der Europäische Gerichtshof befürwortet, dann wird es irgendwann auch angewendet werden.
ZDF: Eine der größten Aufgaben war, eine Lösung für die Verteilung von Flüchtlingen zu finden.
Schulz: Da ist die EU nicht weitergekommen, aber das ist nicht die Schuld der deutschen Ratspräsidentschaft.
ZDF: Am Anfang der Corona-Krise hat jedes EU-Land für sich selbst gekämpft. Wie sehr hat sich das geändert?
Schulz: Ich glaube, dass das ein Schock war. Dass sich in einer Krise plötzlich wieder nationale Egoismen und Vorbehalte durchsetzen, hat einer ganzen Reihe von Leuten in Brüssel und den EU-Hauptstädten den Schreck in die Glieder fahren lassen.
Deutschland hat zusammen mit der Kommission Lösungen herbeigeführt. Jetzt gibt es eine gemeinsame Impfstrategie und eine gemeinsame Finanzierungsstrategie, das ist schon ein Erfolg.
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Deutsche EU-RatspräsidentschaftDeutschland hat mitten in der Corona-Krise vom 1. Juli 2020 an bis zum Jahresende die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union übernommen.
ZDF: Welche Note würden Sie Kanzlerin Merkel für das vergangene Halbjahr geben?
Schulz: Ich kann keine Note geben, weil man die deutsche Ratspräsidentschaft mit keiner anderen vergleichen kann - denn es hat noch keine unter Pandemie-Bedingungen stattgefunden. Wenn Sie alles per Videokonferenz machen müssen, wenn es die persönliche Begegnung nicht gibt, dann ist das eine Präsidentschaft im Ausnahmezustand. Und dafür, finde ich, haben die Deutschen es relativ gut gemacht.
Das Interview führte Andreas Kynast, Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio.
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