Verstoß gegen EU-Recht? Kritik an EU-Sanktionen zu Russland

    Verstoß gegen EU-Recht?:Kritik an "teils dilettantischen" Sanktionen

    Katja Belousova
    von Katja Belousova
    27.07.2022 | 12:02
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    Ein Teil der neuen EU-Sanktionen gegen Russland soll gegen EU-Recht verstoßen: Diese Kritik erhebt ein Sanktionsexperte. Seine Sorge: Oligarchen könnten klagen und das mit Erfolg.

    Belgien, Brüssel: Flaggenm der Europäischen Union
    Die Europäische Union hat das siebte Sanktionspaket gegen Russland beschlossen.
    Quelle: Yves Herman/Reuters

    Als die Europäische Union am Donnerstag ihr mittlerweile siebtes Sanktionspaket im Zuge des Ukraine-Krieges beschloss, stand ein Thema im Fokus: das Verbot von Gold-Importen aus Russland.
    Wer sich den Beschluss jedoch etwas genauer anschaut, stößt auf eine weitere entscheidende Neuerung, die eine massive rechtliche Schwachstelle birgt – und der EU womöglich noch Probleme bereiten könnte.

    Oligarchen müssen Vermögen aktiv offenlegen

    "Zum ersten Mal verlangt die EU, dass gelistete Personen ihr gesamtes Vermögen innerhalb der EU-Gerichtsbarkeit gegenüber der zuständigen nationalen Behörde aktiv offenlegen", schrieb die EU vergangene Woche in einer Pressemitteilung und bezog sich damit auf Artikel 8 der überarbeiteten Verordnung. Dieser besagt nach einer Änderung nun, dass sanktionierte Personen - etwa russische Oligarchen - verpflichtet sind, alle Vermögenswerte an Behörden zu melden.

    Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtung wird als Verstoß gegen das EU-Sanktionsrecht behandelt, mit den entsprechenden Folgen nach den nationalen Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten, einschließlich strafrechtlicher Folgen.

    Pressemitteilung der EU-Kommission

    Sanktionsexperte: "Passus verstößt massiv gegen EU-Recht"

    Vereinfacht bedeutet das: Oligarchen müssen genau das offenlegen, was typischerweise Gegenstand von Strafverfahren wegen Sanktionsverstößen wird: Wo liegen, seit wann welche Vermögenswerte? Sanktionsverstöße sind schwere Straftaten. Die Sanktionierten werden also direkt gezwungen, den Behörden bei ihren Ermittlungen und Nachforschungen zu helfen und so indirekt gezwungen, eigene mögliche Straftaten offenzulegen. Und daran gibt es Kritik.
    "Leider setzt die EU ihre teilweise dilettantische Sanktionspolitik fort", kritisiert Anwalt und Sanktionsexperte Viktor Winkler. "Dieser Passus verstößt massiv gegen EU-Recht. Denn er ist ein eklatanter Verstoß gegen die durch die EU-Grundrechtecharta - und auch durch die Menschenrechte - garantierte Selbstbelastungsfreiheit: Niemand darf staatlich gezwungen werden, sich in einer Weise zu äußern, die ihn oder sie typischerweise strafrechtlich belastet."

    Diese Selbstbelastungsfreiheit gilt im Strafrecht - und im Sanktionsrecht noch mehr, da dort höhere grundrechtliche Hürden für die EU gelten.

    Viktor Winkler

    Seine Sorge: Wenn diese Vorschrift so bleibt und ein Oligarch strafrechtlich verfolgt wird, weil er nicht alles offenlegt, könnte der Betroffene klagen - mit Aussicht auf Erfolg. "Damit nimmt man diesen wichtigen Sanktionen den Schneid", befürchtet der Jurist.

    EU-Kommission sieht Problem der Selbstbeschuldigung nicht

    Die EU-Kommission selbst sieht dieses Problem nicht. "Die in der Liste aufgeführten Personen sind nicht verpflichtet, über die Nichteinhaltung der Meldepflicht Bericht zu erstatten, so dass sich die Frage der Selbstbeschuldigung nicht stellt", schreibt der juristische Dienst der Kommission auf eine Anfrage von ZDFheute.

    In jedem Fall müssen die nationalen Behörden bei der Durchsetzung der Selbstmeldepflicht den betroffenen Personen im Einklang mit den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach EU- und internationalem Recht wirksamen Rechtsschutz zur Verfügung stellen.

    Juristischer Dienst der EU-Kommission

    Für die EU besteht die Straftat also in der unterlassenen Mitteilung. Das eigentliche Problem sei aber die Straftat des Sanktionsverstoßes durch Verschleierung oder Veränderung der eigenen Vermögenswerte, darauf würde die EU nicht eingehen, kritisiert Viktor Winkler. "Und dazu Auskunft zu geben, wird man gerade durch die strafbewehrte Informationspflicht gezwungen", erklärt er.

    Probleme bei Ermittlung verschleierter Vermögenswerte

    Doch warum setzt die EU überhaupt auf diesen Passus? Das Ziel der EU dürfte sein, von den Oligarchen zu erfahren, mit welchen Konstruktionen sie ihr Vermögen in den Mitgliedsstaaten verschachteln und verschleiern.
    Welche Probleme es bei der Ermittlung der Finanz- und Vermögenskonstruktionen auch Monate nach dem ersten Sanktionspaket aus dem Frühjahr gibt, ist aktuell in Deutschland zu beobachten. Noch immer tun sich die hiesigen Ermittlungsbehörden schwer, verstecktes Vermögen offenzulegen, anders als etwa Italien, das durch die Erfahrung mit der Mafia schlagkräftige, bundesweite Behörden im Kampf gegen Finanzkriminalität aufgebaut hat.
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    Forderung nach bundesweiten Sanktionsbehörden

    Diese fordert Sanktionsexperte Winkler auch in Deutschland: "Die Zuständigkeit bei der Durchsetzung von Sanktionen und dazugehöriger Ermittlungen muss weg von Ländern und auf Bundesebene geschehen." Dazu brauche es drei Dinge:
    1. eine Sanktionsbehörde auf Bundesebene
    2. eine Bundessanktionspolizei - ähnlich der Guardia di Finanza in Italien
    3. ein Bundessanktionsgesetz
    Winkler nennt den Gedanken hinter der Mitteilungspflicht für Sanktionierte gut und legitim. "Dazu braucht es aber keine dilettantisch gemachte Auskunftspflicht, sondern konkrete Ermittlungen", fordert er. Und hier zeige sich, was an der Mitteilungspflicht für Sanktionierte besonders fatal sei: "Brüssel und Berlin stehlen sich aus ihrer eigentlichen Verantwortung: die sanktionierten Vermögenswerte durch effektives staatliches Handeln offenzulegen".
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