So viel Augenhöhe war nie: 77 Staats- und Regierungschefs kommen zum EU-Afrika-Gipfel. Die Afrikaner bitten nicht mehr, sie werden von den Europäern umworben.
Das Ratsgebäude ist gerade groß genug. Wo in Brüsseler Nächten - je nach pandemischer Lage - Hunderte Journalisten arbeiten, treffen ab Donnerstagmittag 27 Europäer auf 50 Afrikaner, eingerahmt von tausenden Leuchtdioden. Sechster Gipfel von Europäischer und Afrikanischer Union.
Der letzte ist fünf Jahre her, die Gewichte zwischen beiden Blöcken haben sich verschoben. Afrikanischen Staaten brauchen - erst recht nach der Pandemie - Hilfe, um ihre Wirtschaft zu entwickeln. Aber sie finden sie jetzt auch anderswo, in China, in der Türkei, einige selbst in Russland.
Die EU interessiert sich nur in Wellen für Afrika. Es fehle an dauerhaften Arbeitsstrukturen auf höchster Ebene, beklagt Hildegard Bentele, entwicklungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament. "Da ist Luft nach oben." Die gegenseitige Abhängigkeit habe seit 2017 zugenommen. Aber: "Wir kommen nicht raus aus dem postkolonialen Setting."
Streit um Impfstoff-Produktion
Wie viel Enthusiasmus der EU in Afrika noch entgegenschlägt, war letzte Woche hörbar. Besuch von Ursula von der Leyen im Senegal: Auf ihre Glückwünsche an den Afrika-Meister im Herren-Fußball folgte - Schweigen. Dabei hatte die Kommissionschefin mehr dabei.
Mit einer Milliarde Euro unterstützt die EU die "pharmazeutische Unabhängigkeit" Afrikas. Dazu gehört der Aufbau von drei Produktionsstätten für mRNA-Impfstoffe der deutschen Firma Biontech. Doch die meisten afrikanischen Länder verfehlen das Ziel der WHO, bis Ende letzten Jahres 40 Prozent der Bevölkerung gegen Covid-19 einmal zu impfen. Und Europa boostert.
"Impfstoff-Apartheid", nannte das Cyril Ramaphosa, Staatschef von Südafrika. Sein Land wartet nicht auf die EU, baut selbst mRNA-Impfstoffe nach. Das sei keine Raubkopie, sondern eine Weiterentwicklung, leichter zu lagern, billiger zu produzieren, heißt es von Forschern in einem Lagerhaus bei Kapstadt. Der Gipfel muss Lösungen für das Problem suchen.
Europas Gier nach Wasserstoff
Denn es gibt viel zu gewinnen, nach Überzeugung der EU-Kommission. 150 Milliarden Euro verspricht von der Leyen beim Auftritt in Senegal, teils als Kredite. Es wäre die Hälfte des Programms "Global Gateway", Europas Antwort auf die "Neue Seidenstraße" der Chinesen.
China baut, ohne Fragen zu stellen. Die EU bietet mit dem "Tor zur Welt" eine wertebasierte Zusammenarbeit. "Wir wollen, dass die afrikanischen Länder zumindest die Wahl haben", sagt im Vorfeld des Gipfels ein hoher EU-Vertreter.
Mit Hilfe von Wasserstoff soll Deutschland bis 2050 klimaneutral werden. Umweltfreundlich ist er aber nur, wenn der Strom für seine Herstellung aus erneuerbaren Energien stammt.
Deutschland investiert in Namibia
Wobei gerade bei der Energie-Infrastruktur die Frage ist, wer eigentlich wem hilft. Für die EU ist grüner Wasserstoff eine Schlüsselfrage, praktisch die gesamte Klimaschutzstrategie steht und fällt mit der grünen Energie. Länder wie Namibia könnten zum Wasserstoff-Exporteur werden. Deutschland und auch Belgien investieren dort viel. Der Gipfel soll viele solcher Vorbild-Projekte voranbringen.
Dabei dürfe es aber nicht ausschließlich um Export gehen, von der Transformation müssten auch die Produzenten profitieren. "Afrika muss gleich den richtigen Weg gehen, ohne unseren starken Verbrauch fossiler Energieträger nachzuholen", mahnt die Europa-Abgeordnete Bentele.
Afrikanische Länder fordern legale Migration
Bis Freitag diskutieren die Staats- und Regierungschefs in Arbeitsgruppen. Das Thema Migration steht dabei nicht mehr so hoch, ist Teil der Arbeitsgruppe Mobilität. Das könnte Absicht sein, denn es birgt Zündstoff. Viele afrikanische Länder wollen mehr legale Wege der Migration, einige sperren sich gegen die Rücknahme von Flüchtlingen, deren Aufnahmegesuch in Europa abgelehnt wurde.
In Frankreich, wo im April ein neuer Präsident gewählt wird, kommt beides nicht gut an. "Man beißt sich fest an der Frage der Rücknahme von Flüchtlingen", sagt der hohe EU-Vertreter mit Blick auf einzelne EU-Mitgliedstaaten. Militär-Missionen der UN und der EU, mit dem Ziel Mali zu stabilisieren - und damit auch Migration zu bremsen - stehen vor dem Scheitern.
Auf den Gängen werde Migration ein Thema sein, so der EU-Vertreter. Aber es wäre doch schade, würde das die positive Agenda überschatten.