Nach dem Wahl-Desaster in Schleswig-Holstein und NRW lecken die Liberalen ihre Wunden und suchen nach Wegen aus der Krise.
Die Ampelparteien FDP und SPD haben bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen deutlich an Stimmen verloren. In der Berliner Koalition werden die Wahlergebnisse aufgearbeitet.
"Ein trauriger Abend", sagt Christian Lindner, das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen nennt er "desaströs". Die Enttäuschung der Freien Demokraten, die sich am Abend im Hans-Dietrich-Genscher-Haus versammeln, ist mit Händen zu greifen.
Schon ihr schlechtes Abschneiden in Schleswig-Holstein vor einer Woche war ein Schock für die FDP; dass sie es im größten Bundesland nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, ist ein Alarmsignal auch in Berlin. Die Zitterpartie des Wahlabends weckt alte Existenzängste der Liberalen.
Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender, räumt eine "desaströse Niederlage" bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ein. Für die FDP sei das ein "sehr trauriger Abend".
Die Enttäuschung älterer Wähler
Viel wird nun über Ursachen gesprochen, wenn auch bisher vor allem außerhalb des Blickwinkels der Kameras. Natürlich ist von landespolitischen Themen die Rede, etwas von Schulpolitik. Es sei nicht gelungen, die eigenen Wähler zu mobilisieren, heißt es. Über das ‚Warum‘ diskutieren die Gremien der FDP heute vormittag.
Die Enttäuschung gerade vieler älterer FDP-Wähler dürfte jedoch weit über regionale Fragen hinausreichen. Es gelingt den Liberalen in der Ampel-Koalition bisher nicht, ihren Beitrag zur ‚Zeitenwende‘ plausibel zu erklären. Ähnlich wie die SPD hat auch die FDP das Problem, dass politische Grundsätze, die seit Jahrzehnten zur programmatischen DNA der Partei zählen, plötzlich nicht mehr gültig scheinen.
Unzufriedenheit mit Finanzpolitik
Bei der SPD gilt das für eine grundlegend pazifistisch ausgerichtete Politik, die die Partei seit dem Ende der Ära Helmut Schmidts prägt. Bei der FDP sind es finanzpolitische Grundsätze: Neuverschuldung in dreistelliger Milliardenhöhe, das Sondervermögen für die Bundeswehr: gerade für ältere Liberale, die auf fiskalische Solidität eingeschworen sind, ist das kaum nachvollziehbar.
Anders die Grünen: Auch sie drehen atemberaubende programmatische Pirouetten in der öffentlichen Wahrnehmung, bei Wahlen fahren sie aber trotzdem große Erfolge ein. Das liegt vor allem an Personen: Annalena Baerbock wirkt glaubwürdig in ihrer Rolle, ebenso Wirtschaftsminister Habeck, der seine Gewissensnöte, etwa in der Energiepolitik, deutlich zeigt.
Die politischen Reaktionen auf das Wahlergebnis sind bestimmt von den Verlusten von SPD und FDP. FDP-Chef Christian Lindner muss zum zweiten Mal innerhalb einer Woche eine herbe Niederlage erklären, während die Grünen zum zweiten Mal laut jubeln können.
Suche nach überzeugender Erzählung
Die anderen Ampel-Partner haben es bisher nicht geschafft, die eigenen Wähler von diesem neuen Kurs zu überzeugen. Das gilt für den Kanzler und seine SPD ebenso wie für Christian Lindner. Dafür muss die FDP sich nicht neu erfinden, aber die liberale Linie in der Ampelpolitik sollte sie deutlicher - und für die eigenen Leute plausibler - sichtbar machen. Es geht also um eine neue, überzeugende Erzählung.
Leicht wird das nicht, zumal die Union den Bann der Ära Merkel erstaunlich geräuschlos gebrochen hat. Nicht nur, weil Friedrich Merz als Parteichef diesen Neuanfang geradezu verkörpert.
Alexander Graf Lambsdorff von der FDP räumt eine Niederlage seiner Partei bei der Landtagswahl in NRW ein: "Das bedauere ich sehr."
Union entdeckt ihre Wirtschaftskompetenz wieder
Ministerpräsidenten einer neuen Generation haben keine Berührungsängste gegenüber Grünen, die ihre Wurzeln im linksradikalen Milieu genauso schnell und geräuschlos gekappt haben. Dass die Union mittlerweile sogar ihre Wirtschaftskompetenz wiederentdeckt, macht es der FDP nicht leichter. Neu denken: Das war ihre Losung im Wahlkampf - und genau darauf kommt es jetzt an.