Vertrieben, filtriert und umgesiedelt - mit Deportationen nach Russland und Einbürgerungen sollen Ukrainer entwurzelt werden. Wir haben ihre Spur nachgezeichnet.
Verschleppt und gefoltert?
Bei ihrer Flucht aus Mariupol geriet Irina unter heftigen Beschuss. In dem Körper der Ukrainerin stecken noch immer Granatsplitter, wie sie uns erzählt. Selbst als sie es aus der Kampfzone heraus geschafft hatte, war sie noch lange nicht in Sicherheit. Sie musste noch ein sogenanntes Filtrierungslager durchlaufen.
Dort sollen Kämpfer von Zivilisten getrennt werden, behauptet die russische Führung. Sie spricht von Sicherheits-Checks - Augenzeugen berichten dagegen von teils brutalen Befragungen.
Irina kam in ein Lager in Manhush, rund zwanzig Kilometer westlich von Mariupol. Über die Filtration sagt sie:
Irina und ihre Mutter bestanden die Filtrierung, das belegen "Passagierstempel", die sie uns zeigt. Andere Ukrainer seien dagegen abgeführt worden, berichtet Irina - deren Schicksal ist ungewiss.
Wer Richtung Westen wollte, wurde beschossen
Durch ein Filtrierungslager musste auch Sascha. Eigentlich wollte der junge Mann aus Mariupol Richtung Westen fliehen. Doch wer das versuchte, wurde beschossen, erzählt er uns. So gab es für ihn inmitten des Kriegs nur einen Weg: gen Osten.
Die Vereinten Nationen und die OSZE werfen Russland vor, durch solche Deportationen Hunderttausende Ukrainer nach Russland zu bringen. Die Recherche-Plattform ANTAC hat insgesamt 66 Lager für Deportierte gezählt.
Der US-Botschafter der OSZE sagt gegenüber ZDFheute:
- Verschleppung von Ukrainern: Was wir wissen
Mehr als eine Million Ukrainer sollen nach Russland gebracht worden sein - teils gegen ihren Willen. Darauf deuten Augenzeugenberichte hin. Was wir wissen.
Russlands Pass-Strategie für vertriebene Ukrainer
In einem Lager in Penza, südlich von Moskau, treffen wir Oleg. Er musste überstürzt aus Mariupol fliehen und konnte nur seine Geburtsurkunde mitnehmen. In Penza erhielt der Ukrainer ganz unkompliziert russische Papiere. Wladimir Putin hat diesen Prozess für Ukrainer stark vereinfacht.
Der Historiker und Russland-Experte Christian Osthold ordnet das gegenüber ZDFheute so ein:
- Was wird aus den Soldaten von Mariupol?
Sie saßen wochenlang fest, nun konnten hunderte Soldaten das Stahlwerk in Mariupol verlassen - und sind wohl in russischer Kriegsgefangenschaft. Was passiert jetzt mit ihnen?
Umsiedlungsprogramm "Compatriot": 10.000 Rubel Begrüßungsgeld
Zum einen setzt Russland bei der Umsiedlung auf unmittelbaren Zwang und rohe Gewalt. Zum anderen verspricht der russische Staat Geflüchteten mit dem Einwanderungsprogramm "Compatriot" 10.000 Rubel Begrüßungsgeld, umgerechnet sind das rund 150 Euro.
Russland will die Menschen unter anderem im wirtschaftlich schwachen Osten ansiedeln. Rund 1.200 Geflüchtete aus Mariupol sollen bereits in der Nähe von Wladiwostok sein, der Hauptstadt der Region Primorje. Das liegt 7.000 Kilometer von Mariupol entfernt. Auch Alexejwna nimmt an "Compatriot" teil. Sie begründet das so:
Ob Teilnahme am Umsiedlungsprogramm oder Deportation mit Waffengewalt - Russland geht es darum, Ukrainer zu entwurzeln. Historiker Osthold erklärt das so:
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
- Aktuelles zum Krieg in der Ukraine
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.