Die meisten Finnen sind überzeugt, dass der Frieden mit dem russischen Nachbarn gewahrt wird. Aber die Zustimmung zu einem Nato-Beitritt wird stetig größer.
Es ist ruhig am Grenzübergang Nuijamaa. Gelegentlich nähert sich ein russischer Lkw dem Grenzposten im Südosten Finnlands. Pkw sind noch seltener. Um etwa 95 Prozent ist der finnisch-russische Grenzverkehr eingebrochen - nicht wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine, sondern schon lange vorher als Folge von Corona-Maßnahmen.
Finnlands Grenze zum Nachbarn Russland ist mehr als 1.000 Kilometer lang. Ein paar hundert Meter ins Land hinein reicht die Sperrzone, ein Areal, das niemand ohne Passierschein betreten darf. Patrouillen der finnischen Grenztruppen sind hier unterwegs.
Statt Touristen kommen Ausreisende über die Grenze
Nur eine halbe Autostunde von Nuijamaa entfernt liegt Lappeenranta. Die 72.000-Einwohner-Stadt am südlichen Ende des beschaulichen Saimaa-Seengebiets hat in der Vergangenheit viel von den Touristen aus Russland profitiert. Die russischen Touristen waren gern gesehene Kunden.
Seit Beginn des Krieges kommen langsam wieder mehr Menschen über die Grenze. Aber nicht zum Einkaufen oder Urlaub machen, sondern weil sie weg wollen aus Russland. Da der Flugverkehr zwischen dem Westen und Russland eingestellt ist, bleibt Ausreisenden nur das Auto oder der Zug.
Nato-Option wieder auf dem Tisch
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat die Debatte um einen Nato-Beitritt wieder Fahrt aufgenommen. Bisher war die Zahl der Beitrittsbefürworter recht gering. Finnland hatte sich aber immer die Nato-Option offengehalten. Den meisten reichte dies bisher. Jetzt nicht mehr.
Laut Umfragen gibt es nun eine deutliche Mehrheit für einen Beitritt zum Verteidigungsbündnis. Eine Natomitgliedschaft würde Finnland, das bereits seit Langem sehr eng mit der Nato kooperiert, einen noch besseren Schutz bieten, glauben viele.
- EU leitet Prüfung von Antrag der Ukraine ein
Die EU-Kommission soll eine Einschätzung zum möglichen EU-Beitritt der Ukraine, Moldau und Georgien abgeben. Darauf einigten sich die 27 EU-Länder.
Ungewissheit in Finnlands Bevölkerung
Furcht, dass Finnland dasselbe Schicksal wie die Ukraine erleiden könnte, haben in Lappeenranta jedoch - bisher - nur wenige Menschen. "Um die Ukrainer habe ich natürlich Angst, und es ist auch in Finnland eine besorgniserregende Lage. Wir haben einen recht unberechenbaren Nachbarn", sagt Heikki Valkonen. Dennoch sagt sie:
Deutlich skeptischer ist Heidi Huuskonen. "Man kann Russland nicht trauen", warnt sie. Huuskonen ist Vorsitzende des Lotta Svärd Verbands Südkarelien, der das Andenken der im Krieg aktiven Landesverteidigungsorganisation für Frauen, Lotta Svärd, bewahrt. Ihre Familie stammt aus den nach dem Krieg an Russland abgetretenen Gebieten Kareliens.
Heutige Grenzziehung gilt erst seit 1947
Mit der Niederlage Finnlands im Winterkrieg (1939-1940) fiel der Großteil Westkareliens an die Sowjetunion. Im Fortsetzungskrieg (1941-1944) eroberte Finnland die abgetretenen Gebiete zurück und hielt den Großteil Ostkareliens besetzt. Nach der erneuten Niederlage Finnlands wurde 1947 im Pariser Frieden die heutige Grenzziehung festgelegt.
Die Fluchterfahrung ihrer Familie hat Huuskonens Einstellung gegenüber dem östlichen Nachbarn geprägt. "Wir sind so nah an Russland und wir haben eine sehr lange gemeinsame Grenze. Es ist die längste Grenze in Europa". Und weiter:
Huuskonen spricht sich daher auch rückhaltlos für den Beitritt Finnlands zur Nato aus.
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Erinnerung an ein "devotes" Finnland
Laut dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö gehen die Finnen auf Distanz zum Geist der Kekkonen-Ära, in der, so Niinistö, "Russland diktieren wollte, wie Finnland lebt und einige Politiker Moskau aktiv zu gefallen versuchten".
Sofi Oksanen, international bekannte finnische Schriftstellerin, erinnert in einem Zeitungsinterview an die Zeit eines devoten Finnlands, in der sich der sowjetische Einfluss in allen Bereichen der Gesellschaft niederschlug. Sogar Zensur sei an der Tagesordnung gewesen. Für diese Jahrzehnte der "Finnlandisierung", so der Fachterminus, schäme sich Finnland nun zu Recht, so Oksanen.
Kein Aktionismus in der Nato-Frage
Angesichts des Ukraine-Kriegs liegt die Nato-Frage auf dem Tisch, aber in hektischen Aktionismus verfällt in Finnland niemand. Die bekannteste finnische Zeitung, "Helsingin Sanomat", sieht die Lage so: "Einem Beitritt Finnlands zur Nato stehen politische Hindernisse im Wege: das Volk, die Entscheidungsträger sowie Russland."
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