Schweden und Finnland wollen der Nato beitreten. Das Verteidigungsbündnis könnte davon enorm profitieren. Warum die Streitkräfte beider Staaten der Nato viel zu bieten haben.
Eine Nato-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens rückt näher. Am Sonntag sprach sich die finnische Regierung für einen Beitritt aus, am Montag stimmte das schwedische Parlament ebenfalls dafür. Jetzt kann der formelle Beitrittsprozess beginnen. Obwohl beide Staaten auf den ersten Blick nur über eine kleine Streitmacht verfügen, haben sie der Nato einiges zu bieten.
Wie neutral sind Schweden und Finnland wirklich?
Schweden wie Finnland haben sich im Kalten Krieg bewusst gegen eine Nato-Mitgliedschaft entschieden. Insbesondere Finnland mit seiner über 1.300 Kilometer langen Grenze zu Russland hatte großes Interesse, nicht erneut in einen militärischen Konflikt mit dem Sowjet-Imperium zu geraten.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion wurde die Neutralität beider Staaten praktisch immer weiter zugunsten des Nordatlantik-Bündnisses aufgegeben:
Was bedeutet ein Nato-Beitritt praktisch für das Militär?
Nato-Mitglieder müssen sich nicht nur im Notfall gegenseitig verteidigen, sondern ihre Streitkräfte in nahezu jedem Aspekt aufeinander abstimmen. In den zahlreichen Nato-Standardisierungsabkommen werden etwa von Tankstutzen bis zu Magazin-Größen für fast alles einheitliche Vorgaben festgelegt.
Das machte einen Nato-Beitritt für manche Staaten zu einem teuren Unterfangen. Sie mussten Milliarden in die Anpassung ihrer Streitkräfte investieren - Schweden wie Finnland setzen viele dieser Normen bereits um. Auf die Stäbe und Militärverwaltung kommen dennoch große Aufgaben zu:
Die jüngst wegen des Ukraine-Kriegs aktivierten Verteidigungspläne für die Nato-Ostflanke etwa müssten um Schweden und Finnland erweitert werden. Solche Notfallpläne haben handfeste Konsequenzen: Im Krieg muss es schnell gehen. Schon vorher muss geplant werden, welche Nationen mit welchen Truppen an welchen konkreten Orten in Schweden und Finnland kämpfen sollen.
Ob Finnland und Schweden bald der Nato beitreten können, hängt maßgeblich von der Türkei ab. Präsident Erdogan bremst mit dem Argument, beide Länder böten anti-türkischen Organisationen Unterschlupf.
Was macht das finnische Militär besonders?
Auf dem Papier umfasst das finnische Militär nur 12.000 Berufssoldaten und zivile Angestellte plus 22.000 Wehrpflichtige pro Jahr. Im Kriegsfall wächst die Sollstärke auf 280.000 Soldaten an, fast 900.000 Reservisten stehen zur Verstärkung bereit - beachtlich bei einer Bevölkerung von nur rund 5,5 Millionen Menschen.
In den vergangenen 20 Jahren setzten viele Nato-Staaten vor allem auf globale Einsätze und Terrorbekämpfung. Viel teures, schweres Gerät wurde in diesem Zusammenhang verschrottet oder verkauft. In Finnland hingegen ist die klassische Landesverteidigung weiterhin das oberste Ziel. So unterhält Helsinki etwa bis heute vergleichsweise viel Artillerie - eine wirksame Abschreckung gegen Russland.
Was kann Schweden zur Bündnisverteidigung beitragen?
Auch Schwedens Streitkräfte sind auf die Bedürfnisse der Landesverteidigung abgestimmt - hier vor allem zur See. "Schweden kann leistungsfähige U-Boote beisteuern, die in den tückischen flachen Gewässern des Baltikums operieren können - und Kampfflugzeuge der vierten Generation plus", berichtet Albin Aronsson Militäranalyst der Schwedischen Agentur für Militärforschung in Stockholm.
Für den Experten Engelbrekt bringe Schweden drei Stärken in die Nato ein: "Eine lange Tradition in der Ausbildung hochqualifizierter Offiziere, gut ausgestattete Streitkräfte und eine große Rüstungsindustrie."
Etwa die Insel Gotland in der Ostsee könnte dabei künftig eine zentrale Rolle spielen.
Die Türkei müsse "einen sehr hohen politischen Preis zahlen", sollte sie die Nato-Norderweiterung blockieren, sagt ZDF-Korrespondent Gunnar Krüger.
Wie wird die Norderweiterung die Nato langfristig verändern?
Dass die Nato-Erweiterung zu deutlicher Mehrbelastung für bisherige Mitglieder wie Deutschland führt, glauben Experten nicht. Spannungen mit Russland könnten hingegen zunehmen.
"In den nordischen Ländern präferieren wir auf jeden Fall eine Verteidigungspolitik, die uns für die andere Seite nicht als Bedrohung erscheinen lässt", sagt Engelbrekt ZDFheute. Das bedeute etwa keine Verstärkung von Militäreinheiten unweit russischer Gebiete wie St. Petersburg, Kaliningrad oder der Kola-Halbinsel. Auch Nato-Experte Tardy rechnet mit Zurückhaltung bei den beiden Neumitgliedern mit Blick auf Nato-Basen: "Das Ansiedeln neuer Militäranlagen in Schweden und Finnland wird im Zentrum des Beitrittsprozesses stehen."
Finnland werde sich um die Sicherheit der Grenze zu Russland kümmern, so der frühere Oberkommandierende der finnischen Streitkräfte, Juhani Kaskaela, gegenüber dem Fachmagazin "Foreign Policy". "Wir wissen, dass wir zur Sicherheit in Europa beitragen und nicht nur Nutznießer wären."
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