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Umgang mit Geflüchteten : Was ist heute anders als 2015?

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Deutschland hat 2022 mehr Geflüchtete aufgenommen als 2015 und 2016. Damals war noch von "Flüchtlingskrise" die Rede - heute nicht mehr. Was ist anders?

Drei aus der Ukraine stammende Frauen gehen zu ihrem Quartier, aufgenommen am 30.05.2022 in Ellwangen
Geflüchtete aus der Ukraine: "Besonders starkes Mitgefühl und Verständnis." (Archivfoto)
Quelle: dpa

Eine Ähnlichkeit scheint es zu geben, wenn man von heute auf 2015 zurückblickt: Es sind die grausamen Bilder von Krieg, zerstörten Städten und Trümmern, die um die Welt gehen. Sie zeugen davon, warum Millionen Menschen Schutz in Deutschland suchen.  

Vor sieben Jahren vertrieb der Bürgerkrieg in Syrien viele aus ihrer Heimat, heute lässt der russische Angriffskrieg Menschen aus der Ukraine fliehen. Auch wenn es in beiden Fällen um Menschen in Not geht: die öffentliche Debatte in Deutschland ist eine andere.

2015 und 2016 war "Flüchtlingskrise" noch eines der zentralen Schlagworte: Demonstrationen, brennende Asylunterkünfte und überforderte Behörden machten Schlagzeilen. Insgesamt waren es 1,16 Millionen Menschen, die 2015 und 2016 in Deutschland Asyl gesucht haben. Und heute?

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Warum heute kaum jemand von einer "Flüchtlingskrise" redet

Klar ist: Die Lage war auch 2022 ernst. Vielerorts waren die regulären Aufnahmekapazitäten für Geflüchtete ausgeschöpft. Viele Kommunen mussten die Geflüchteten in Notunterkünften unterbringen. An Schulen fehlt es oft an Personal, um die Kinder zu unterstützen - etwa bei der Integration und der Verarbeitung von Traumata.

In der öffentlichen Debatte war innenpolitisch im Jahr 2022 aber kaum von einer "Flüchtlingskrise" die Rede, sagt Özgür Özvatan, Migrationsforscher an der Humboldt-Universität in Berlin.

"Auch wenn es früh ist, das abschließend zu beurteilen, beobachten wir, dass von 'Flüchtlingskrise' in Bezug auf die ukrainischen Geflüchteten kaum die Rede ist", sagt Özgür Özvatan, Migrationsforscher an der Humboldt-Universität in Berlin.

Eine "Riesen-Solidarität" mit ukrainischen Flüchtlingen sieht Innenministerin Faeser. Vor kippender Stimmung warnt CDU-Vize Linnemann. Palmer fordert weniger Integration.

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Eine Ursache für den Unterschied liege im öffentlichen Management und dem politischen Willen dahinter, so Özvatan. "Viele der Behörden und Ämter, die 2015 vielfach überfordert waren, waren es 2022 nicht." 

Menschen aus der Ukraine bekommen Flüchtlingsschutz mithilfe eines gesonderten schnelleren Verfahrens. Das ermöglicht die Massenzustrom-Richtlinie, die die EU-Staaten einstimmig in Kraft gesetzt hatten. Sie bietet ukrainischen Geflüchteten unbürokratischen Schutz, Arbeitserlaubnisse und sofortigen Zugang zu Sprachkursen. 

Menschen, die vor acht Jahren nach Deutschland gekommen sind, fragen sich nun durchaus, warum das bei ihnen nicht so gewesen ist - und diese Frage ist schwer zu beantworten.
Migrationsforscher Özgür Özvatan

Ukrainer besonders positiv wahrgenommen

Im vergangenen Jahr sind überwiegend Menschen aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Demonstrationen, Angriffe auf Asylheime und Forderungen, die Grenzen zu schließen - wie 2015 und 2016 -, sind Geflüchteten aus der Ukraine weitgehend erspart geblieben, sagt Özvatan.

Laut den Vereinten Nationen hat Russlands Einmarsch in die Ukraine rund 14 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Das ist laut UNHCR die größte Vertreibung seit Jahrzehnten.

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Özvatan beobachtet, dass den Deutschen eine kulturelle Nähe den Menschen aus der Ukraine gegenüber nachgesagt wird - und deswegen liege der Schluss einer die Wahrnehmung dieser Zuwanderung nahe. "Die Ukraine wird als Teil europäischer Identität dargestellt, der von Russland angegriffen wird. Das erzeugt ein besonders starkes Mitgefühl und Verständnis", so Özvatan. 

Auch das Geschlechterverhältnis könnte eine Rolle spielen, so Özvatan: Über 70 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine sind Frauen. "Es ist gut möglich, dass das die Akzeptanz und Aufnahmebereitschaft erhöht." Zum Vergleich: Unter den Asylbewerberinnen und Asylbewerbern waren es 2015 nur 30,8 Prozent Frauen.  

Negative Darstellung von Geflüchteten aus muslimischen Ländern

Es sei mittlerweile nachgewiesen, dass vor allem Geflüchtete aus muslimischen Ländern medial im Durchschnitt negativer dargestellt werden als andere Gruppen, betont Özvatan. Das zeige sich etwa in Bezug auf die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016, so der Migrationsforscher. "Die Debatte wurde zwar schnell einkassiert, aber die Medienberichterstattung über die Verdächtigen hatte nachhaltige Effekte auf die Wahrnehmung von Geflüchteten." 

 

Bei Geflüchteten aus muslimischen Ländern war eigentlich egal, was sie tun: Sie wurden medial negativ dargestellt. Bei Geflüchteten aus der Ukraine gab es dagegen keinen Diskurs rund um Parallelgesellschaften oder Integrationsverweigerung.
Migrationsforscher Özgür Özvatan

Die Integrationsdebatten rund um Integrationsverweigerung seien in der Form aber auch veraltet, betont Özvatan. Etwas weniger als 40 Prozent der unter-20-Jährigen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Deutschland befinde sich im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte, während "rassistische Debatten die internationale Attraktivität Deutschlands als Einwanderungsland unterwandern". Das widerspreche dem eigentlichen Interesse Deutschlands - gesellschaftlichen Wohlstand. 

Auch in diesem Jahr gab es eine Debatte rund um die Krawalle zu Silvester in Berlin. Dort wurden Einsatzkräfte unter anderem mit Feuerwerkskörpern angegriffen. Die ersten Angaben der Polizei sorgten für Aufsehen: 145 Personen aus 18 Nationen seien festgenommen worden. Nun wurden diese Zahlen jedoch nach Recherchen des "Tagesspiegels" präzisiert: Nur 38 dieser Personen wurden nach Böller-Angriffen festgenommen, zwei Drittel von ihnen waren deutsch. 

Ein Polizeiauto fährt vor dem Brandenburger Tor mit Blaulicht durch die Menschenmenge. Foto: Christophe Gateau/dpa
Interview

Gewalt an Silvester - "Debatte auf Migration heruntergebrochen" 

Nach Silvester wird über den Zusammenhang von Gewalt und Migrationshintergrund diskutiert. Warum das zu kurz gedacht ist und Probleme kaum löst, erklärt Psychologe Frank Asbrock.

Einen weiteren Unterschied sieht Özvatan darin, wie politische Autorität medial verstanden wird. "Es gab 2022 keine Schuldzuweisungen gegenüber einem Bundeskanzler Scholz, der plötzlich die Grenzen vermeintlich geöffnet habe", sagt Özvatan. 2015 sei der Diskurs auf Angela Merkel reduziert worden, "die zuständig gewesen sein soll für gesellschaftliche Missstände und Chaos-Zustände. Heute ist das nicht so."

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