Reingedrängt nach Polen, zurückgedrängt nach Belarus: Migranten werden von Lukaschenko als Druckmittel benutzt. Ihre Situation wird immer dramatischer. Es gab offenbar erste Tote.
"Wir wollen in Polen bleiben", rufen sie dem polnischen Grenzschutz zu, minutenlang. 29 völlig erschöpfte Menschen, psychisch wie physisch, aus dem Irak; 16 Kinder sind darunter und eine schwangere Frau. Sieben Tage lang, erzählen sie, haben sie im Wald auf der polnischen Seite an der Grenze zu Belarus ausgeharrt.
Von belarussischen Schleusern seien sie zur Grenze gebracht worden. "Sie geben dir kein Wasser, nichts zu essen, wenn du krank oder hungrig bist", berichtet eine Irakerin. "Sie helfen dir nicht, dein Leben ist ihnen egal, sie wollen einfach, dass du zur Grenze nach Polen gehst, und du musst sie überqueren."
Flüchtlinge in den Fluss getrieben und ertrunken
Auch Tote hat es schon gegeben - auf beiden Seiten. "Von einem Syrer, den wir festgenommen haben", sagt Anna Michalska, Sprecherin des polnischen Grenzschutzes, "wissen wir, dass die belarussischen Dienste ihn und seinen Kameraden in den Fluss Bug getrieben haben. Und obwohl sie um Hilfe riefen, hat keiner reagiert." Nur der eine überlebte, schaffte es nach Polen und kam ins Krankenhaus.
Belarus spielt Machtpoker mit Menschen und schleust Geflüchtete an die polnische Grenze. Polen reagiert mit Ausnahmezustand und Push-Backs.
Es sind vor allem Menschen aus Irak, Syrien oder Afghanistan, die seit Wochen offenbar von Belarus gezielt eingeflogen und dann nach Polen geschleust werden. Lukaschenko, der Machthaber in Minsk, benutzt Migranten als Rache für die EU-Sanktionen gegen sein Land.
Die Geflohenen hoffen auf ein besseres Leben - und geraten zwischen die Fronten. Denn der polnische Grenzschutz sichert mit seiner Grenze zu Belarus gleichzeitig eine EU-Außengrenze, macht im Prinzip seinen Job, aber wie?
Polen will Situation selbst regeln
Hilfsorganisationen werfen den Grenzbeamten Push-Backs vor, also das gewaltsame Zurückdrängen von Migranten raus aus der EU. Polen dementiert dies auch nicht. "Oft nehmen sie die Menschen nicht in Einrichtungen auf, sondern schieben sie in einen Lkw und fahren sie nach Belarus zurück", berichtet uns Flüchtlingshelferin Mila von "Gruppe Grenze".
Andere wiederum können Asylanträge stellen oder kommen ins Krankenhaus. Was genau im Grenzgebiet geschieht, ist unklar, denn Polen hat den Ausnahmezustand verhängt, Helfer und Medien dürfen nicht bis zur Grenze durch. Es gibt einen gesperrten Korridor. Auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex will Polen nicht zu Hilfe bitten - und die Dinge offenbar im eigenen Stil regeln.
Minibus mit 17 Migranten verunglückt
Mehr als 20.000 Migranten haben bis jetzt in diesem Jahr versucht, die polnisch-belarussische Grenze zu überwinden. Fast jeden Tag sehen die Polen in den Medien neue Bilder und Schicksale. Bilder, die sie bisher nur aus Italien, Griechenland oder Deutschland kannten.
Mehr als 6.000 Geflüchtete kamen dieses Jahr über die Fluchtroute durch Belarus und Polen nach Brandenburg. Wie reagieren die Brandenburger auf den plötzlichen Anstieg der Flüchtlingszahlen?
"Wir haben bereits ein Dutzend Situationen im Wald erlebt, Gruppen, die Hilfe brauchten", sagt Jakub Sieczko von "Mediziner an der Grenze".
Viele wollen weiter Richtung Westen, beispielsweise nach Deutschland. Und, wenn sie es am polnischen Grenzschutz vorbei schaffen, geraten sie wieder in die Hände von Schleusern. Diese Woche verunglückte ein Minibus mit 17 Migranten in Polen. Es gab Verletzte.
Die 29 Iraker haben nun in Polen Asylanträge gestellt und sind zurzeit in Polen. Ihre Geschichte wurde in den Medien gezeigt. Und auch wenn sie vor der Kamera ihren Namen nicht sagen wollten, so bleiben sie doch nicht mehr anonym. Vieles allerdings geschieht jenseits der Kameras und nicht unter den Augen der Helfer. Und vieles endet tragisch.