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Interview

Migrationsexperte zur Ukraine : 10 Millionen Flüchtende "nicht unrealistisch"

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Wegen des Ukraine-Kriegs könnten zehn Millionen Menschen zu Flüchtenden werden, sagt Migrationsforscher Knaus im ZDF. Um dieses Szenario zu verhindern, müsse Putin gestoppt werden.

Bereits mehr als 1,2 Millionen Menschen aus der Ukraine sind auf der Flucht. Im Interview mit Marietta Slomka befürchtet Migrationsforscher Gerald Knaus, dass es noch deutlich mehr werden könnten. Sehen Sie das Interview oben im Video - oder lesen Sie es im Folgenden im Wortlaut.

ZDFheute: Sie prognostizieren ja, wenn der Krieg lange so weitergeht, dann könnten das am Ende sogar bis zu zehn Millionen Flüchtlinge werden.

Gerald Knaus: Was wir jetzt sehen ist leider für jeden, der Putins Kriege verfolgt hat, vertraut. Wir haben gesehen, wie im Donbass seit 2014 sehr viele Menschen vertrieben wurden. Wir haben gesehen, dass Putins Verbündeter Assad einen Krieg geführt hat, wo jetzt mehr als ein Viertel der Bevölkerung außerhalb Syriens ist. Wir haben gesehen wie Putin seinen ersten Krieg in Tschetschenien geführt hat, als er an die Macht kam.

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Und so wie der Krieg jetzt geführt wird - mit Städten, wo Menschen in den Kellern überleben müssen, wo die öffentliche Versorgung zerstört wird und wo klar wird, dass diese Menschen Putins Herrschaft nie akzeptieren werden -, da bleibt nur ein Weg. Und der wäre, so wie bei Assad darauf zu setzten, dass viele Menschen fliehen. Und wenn das passiert, wenn auch in der Ukraine ein Viertel der Menschen das Land verlassen, dann wären das zehn Millionen Menschen. Das ist leider keine unrealistische Erwartung, außer Putin wird gestoppt.

ZDFheute: Wir haben eben in dem Bericht aus Lemberg gehört, wie die beiden jungen Frauen erzählen, dass wenn sie mit Verwandten in Russland telefonieren, dass die ihnen auch nicht glauben, was sie erleben. Also Putin scheint es ja wirklich zu schaffen, große Teile der russischen Bevölkerung mit dieser Desinformation komplett zu verblenden. Wie schätzen Sie das ein? Sie waren ja auch häufig in Russland, haben da ja auch viele Kontakte.

Knaus: Leider ist das das Ergebnis einer längeren Anstrengung. Diese Propaganda in den Medien, das Aufbauen dieser Feinbilder, die nationalistischen Intellektuellen und vor allem auch der Raum für Kritiker. Es gibt ja viele Russen, die anders denken, aber der Raum für die, die dieser Propaganda etwas entgegenhalten wollen, wurde immer kleiner und in den letzten Tagen ist er fast vollkommen verschwunden. Das heißt, jetzt gibt es nur noch die Botschaften der staatlichen Medien, der Regierung und des Parlaments, das einstimmig drakonische Strafen für jede Form von öffentlicher und kritischer Debatte diese Woche eingeführt hat.

Und das bedeutet, die Menschen haben gar keine anderen Quellen mehr. Einige wenige erfahren vielleicht Anderes über immer kompliziertere Wege. Aber wer ständig hört, dass es hier gegen die Nazis geht, also gegen ein Regime in Kiew, das von einer feindlichen EU, von einer feindlichen Nato unterstützt wird, der muss glauben, dass hier ein Krieg gegen das absolute Böse geführt wird. Und diese Propaganda läuft in Russland seit vielen Jahren und die war leider bis jetzt sehr erfolgreich.

ZDFheute: Aber auch außerhalb Russlands, zum Beispiel in Belgrad in Serbien, gibt es erstaunlicherweise Pro-Putin-Demonstrationen. Was sagt uns das? Reicht der lange Arm Moskaus bis dorthin?

Knaus: Auch auf dem Balkan, wobei es hier immer noch die Gelegenheit gäbe - wenn die Europäische Union, wenn Deutschland und Frankreich [es] diesmal versuchen -, vor die Welle zu kommen. Aber auch auf dem Balkan sehen wir seit einigen Jahren, das was vor wenigen Jahren noch undenkbar schien, nämlich neue Konflikte, neue Kriege, Kämpfe um Grenzen, dass das wieder denkbar wird. Wir haben auch seit einigen Jahren in den serbischen Medien regelmäßig Berichte über Kriege. Wir haben eine totale Desinformation.

In den Medien in Belgrad wird davon gesprochen, dass die Ukraine Russland angreift, dass Russland demnächst Truppen schickt, dass auf dem Balkan neue Kriege ausbrechen. Ich habe in Bosnien bis vor einem Jahr keine Politiker getroffen, die so wie in den letzten Monaten offen darüber sprechen in welchen Polizeistationen Waffen sind und die erstmals seit über zwei Jahrzehnten neue Gewalt fürchten.

Und hier ist es extrem wichtig für die Europäische Union dem mit einer klaren Botschaft entgegenzutreten und zu sagen, dass diese sechs Länder des Balkans eine Perspektive haben, nicht nur hohle Phrasen, in dieses Europa zu kommen, wo über Grenzen nicht mehr gestritten, nicht mehr gekämpft, kein Blut mehr vergossen wird, weil Grenzen unsichtbar werden, wie heute eben zwischen Deutschland und Polen, denn Putin hat jedes Interesse durch Provokationen neue Konflikte loszutreten.

Also eine klare Perspektive an die Bevölkerung. Und es wäre gut, wenn Deutschland und Frankreich hier mit konkreten Botschaften an die Bevölkerung, aber auch Maßnahmen, die das realistisch machen, möglichst schnell versuchen dieser Propaganda, diesem Nationalismus möglichst etwas entgegenzusetzen und nicht gutgläubig darauf zu vertrauen, dass alles gut ausgeht, das ist in der Ukraine gescheitert.

Montage: Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj vor einem Blick auf das zerstörte Mariupol

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von Anne Brühl
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