Die EU plant weitere Sanktionen gegen Russland - erstmals steht ein Importverbot von Kohle im Raum. Was wären die Folgen für Deutschland?
Als Folge der Kriegsgräuel im ukrainischen Butscha hat die EU-Kommission weitere Sanktionen gegen Russland vorgeschlagen - erstmals geht es dabei auch um ein Importverbot für russische Kohle in die Europäische Union. Offen blieb zunächst, ab wann das Verbot gelten könnte.
Wie bei Erdgas und Erdöl ist Deutschland auch bei der Kohle zu einem großen Teil abhängig von Russland. Geht es nach der Bundesregierung, sollen die Kohle-Importe bis Ende des Sommers ersetzt werden.
War würde ein Importstopp russischer Kohle für Deutschland bedeuten? Das hängt wohl vor allem vom Zeitpunkt ab. Ein Überblick.
Welche Bedeutung hat russische Kohle bisher?
Fast die Hälfte der Kohle, die Deutschland 2020 importierte, kam nach Angaben des Vereins der Kohlenimporteure aus Russland. Das betrifft sowohl Steinkohle als auch das Kohleprodukt Koks, das etwa in der Stahlherstellung genutzt wird. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums machte vor dem Ukraine-Krieg russische Kohle rund 50 Prozent des deutschen Steinkohleverbrauchs aus.
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Gelingt es, den Kohle-Anteil zu verringern als Reaktion auf den Krieg?
Der Anteil der russischen Steinkohle wird bereits verringert. Wie das Wirtschaftsministerium vor anderthalb Wochen in einem "Fortschrittsbericht Energiesicherheit" mitteilte, wird ein Großteil der Betreiber von Kraftwerken bis zum Frühsommer gänzlich auf russische Steinkohle verzichten beziehungsweise den Einsatz stark reduzieren.
Auch bei den großen industriellen Nutzern von Kohle, vor allem der Stahlindustrie, erfolge bereits eine Umstellung der Lieferverträge.
Damit sinke die Abhängigkeit bei Kohle in den nächsten Wochen von 50 Prozent auf rund 25 Prozent - dies sei schon ab April Schritt für Schritt wirksam:
Welche Folgen könnte ein Kohle-Importstopp haben?
Das hängt vor allem vom Zeitpunkt ab. In einem der dpa vorliegenden Bericht des Wirtschaftsministeriums an den Wirtschaftsausschuss des Bundestags hieß es, die Umstellung der Lieferketten sei noch nicht vollzogen, so dass es bei einem sofortigen Lieferstopp nach wenigen Wochen zu Kohleknappheit kommen könnte.
Das wiederum könne Auswirkungen auf den Stromsektor haben. Würden die russischen Importmengen kurzfristig ausfallen, würde für die Stromerzeugung auf vorhandene Vorräte an den Kraftwerksstandorten und zwischengelagerte Steinkohle in den Häfen zurückgegriffen:
Nach einem Verbrauch der Vorräte wären voraussichtlich einzelne Kraftwerke abzuschalten.
Wofür wird Kohle in Deutschland verwendet?
Knapp die Hälfte der in Deutschland verbrauchten Steinkohle wurde im vergangenen Jahr zur Stahlerzeugung genutzt. Die andere Hälfte wurde in Kraftwerken entweder zur Strom- oder Wärmeproduktion verwendet.
Die in Deutschland abgebaute Braunkohle wird zum Großteil zur Stromerzeugung genutzt.
Welche Alternativen zur russische Kohle gibt es?
Bei der Kohle kann Deutschland im Vergleich zum Öl und vor allem vom Gas die Abhängigkeit von Russland am schnellsten verringern.
Steinkohleimporte aus Russland könnten in wenigen Monaten vollständig durch andere Länder ersetzt werden - insbesondere aus den USA, Kolumbien und Südafrika, teilte Anfang März der Verein der Kohlenimporteure mit. Es gebe einen gut funktionierenden, liquiden Weltmarkt und es seien ausreichende Mengen vorhanden.
Welche Rolle spielen die deutschen Braunkohlereviere?
Der einzige fossile Energieträger in Deutschland, der nicht importiert werden muss, ist Braunkohle. Von den 107,4 Millionen Tonnen Braunkohle, die 2020 laut Bundesverband Braunkohle in Deutschland abgebaut wurden, kam knapp die Hälfte aus dem Rheinland, rund 40 Prozent aus der Lausitz und knapp 12 Prozent aus Mitteldeutschland.
Im Jahr 2021 hatte Braunkohle laut AG Energiebilanzen einen Anteil von 9,3 Prozent am gesamten Primärenergieverbrauch. Der Anteil der Steinkohle lag bei 8,6 Prozent - Erdgas hatte einen Anteil von 26,7 Prozent.
Wie wird Deutschland unabhängiger von der Energieversorgung durch Russland - auch das ist Thema der ersten Strukturwandelkonferenz in Cottbus. Politiker diskutieren mit der Branche über die Zukunft der Lausitz nach dem Ausstieg aus der Braunkohle.
Was hat Deutschland insgesamt an heimischen Energieträgern?
Nicht so viel. Weniger als ein Drittel (29 Prozent) des Energiebedarfs konnte Deutschland 2020 laut Weltenergierat, einem internationalen Zusammenschluss von Branchenverbänden und Unternehmen, aus heimischen Quellen decken.
Erneuerbare Energien etwa aus Wind und Sonne sowie Braunkohle sind demnach die einzig nennenswerten heimischen Energieträger. Die übrigen 71 Prozent wurden importiert: Steinkohle zu 100 Prozent, Öl und Erdgas zu jeweils mehr als 95 Prozent.
Bis wann will Deutschland aus der Kohle aussteigen?
2038 lautet das gesetzlich festgeschriebene Enddatum. Die Ampel-Regierung will es allerdings schon bis 2030 schaffen - "idealerweise". Dieses angepeilte Datum steht laut Wirtschaftsministerium auch nicht in Frage. Der Ausstieg hängt aber davon ab, ob der angestrebte massive Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sinne gelingt. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs sollen mehr Kraftwerke, die vom Netz gehen, in die Reserve - die Bedeutung der
Kohle könnte wieder steigen.
Den Plan der neun Bundesregierung, acht Jahre früher aus der Kohle auszusteigen, empfinden viele Menschen in der Lausitz als Verrat.
Was bedeutet das für den Klimaschutz?
Kurzfristig sei zu erwarten, dass Deutschland dadurch mehr Treibhausgase ausstoße, sagte Klima-Staatssekretär Patrick Graichen jüngst.
Er versicherte, die Regierung wolle den Klimaschutz umso entschiedener vorantreiben. Auch Greenpeace geht davon aus, dass im kommenden Winter 2022/23 in Deutschland Steinkohlekraftwerke die Stromproduktion durch Gaskraftwerke schon allein aus ökonomischen Gründen ersetzen werden. Grund seien die voraussichtlich hohen Gaspreise, sagte der Klima- und Energieexperte der Umweltschutzorganisation, Karsten Smid. Gezwungenermaßen würde in der Folge auch der CO2-Ausstoß steigen.
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