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Parlamentswahlen in Frankreich:Macron und Mélenchon: Eine explosive Mischung
von Anna Feist
12.06.2022 | 08:05
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Mélenchon und Macron, das könnte nach den Parlamentswahlen die Kombination von Premier und Präsident in Frankreich werden. Ein Linker und ein Liberaler - Kontroverse garantiert.
"So ein Mistkerl!", mit großer Geste stößt eine ältere Dame den Wahlzettel, der ihr gerade angeboten wurde, zur Seite.
Der Mistkerl bezieht sich auf Jean-Luc Mélenchon, den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten, der sich jetzt damit rühmt innerhalb weniger Wochen die französische Linke vereint zu haben.
Vorwürfe gegen Macron
Die französische Linke, das ist jetzt ein Bündnis aus Sozialisten, Kommunisten, Linken und den Grünen - Abkürzung NUPES. Bevor die ältere Dame endgültig das Feld räumt, beschimpft sie noch einmal die Wahlkämpfer, die die Flyer verteilen: "Schert Euch zur Hölle!"
Verdutzt, aber mit geduldiger Miene schauen sich die Wahlkämpfer an. Eine von ihnen ist Julie Maury. Die 33-Jährige war Journalistin, jetzt kandidiert sie für NUPES im 16. Bezirk, einem Nobelstadtteil mitten in Paris. Solche Szenen ist sie bereits gewohnt, immerhin sei das eine der Hochburgen von Macron-Wählern. Trotzdem lässt sich Julie Maury nicht unterkriegen, sie ist überzeugt von dem neuen Projekt, wie sie das Bündnis nennt.
Ich verabscheue die Politik Macrons. Das ist eine neoliberale Klassenpolitik, sie schadet der Demokratie.
Julie Maury, NUPES-Kandidatin
Emmanuel Macron benehme sich wie ein präsidialer Monarch. So schnell sie kann, zählt die junge Frau Beispiele auf: Die schlechte Pandemie-Bekämpfung, die gewaltsame Unterdrückung von sozialen Bewegungen, etwa der Gelbwesten, überhaupt die Unterdrückung. Während sie spricht, drehen sich kopfschüttelnd einige Passanten zu ihr um.
Macron und Mélenchon: Eine neue "cohabitation"?
Die große Aufregung um die Parlamentswahlen scheint gerechtfertigt, denn diese Wahl könnte Frankreich erstmals seit 1997 unter Jacques Chirac wieder in eine neue "cohabitation" führen, also zu einem Premierminister, der nicht aus den Reihen der Partei des Präsidenten stammt.
Also der neoliberale Emmanuel Macron als Präsident und der linke Jean-Luc Mélenchon als sein Premierminister? "Wenn wir die Mehrheit gewinnen, wird das genauso laufen", verkündet Julie Maury mit strahlenden Augen.
Erst dann fügt sie hinzu: Nach der Verfassung müsse Macron den Premierminister ernennen, aber der müsse nicht zwangsläufig aus dem Lager kommen, das die meisten Abgeordnetensitze gewinnt. Aber: "Ich bin sicher, es wird Mélenchon."
Und dann? "Am Tag nach seiner Ernennung werden wir den Mindestlohn auf 1.500 Euro anheben, die Rente mit 60 wird kommen, wir werden die steigenden Preise blockieren, wir werden die ökologische Wende bringen", sagt Julie Maury und zeigt auf den Aufdruck des T-Shirts ihres Kollegen: "Wir werden die Reichen besteuern." Wieder dreht sich ein Passant zu ihr um: "Mélenchon, das ist ein extremer Populist, der viel Schaden in Frankreich und Europa anrichten wird. Man sollte seine Abgeordneten auf gar keinen Fall ins Parlament wählen."
Politische Lähmung oder mehr Debatte?
Wer gewinnt die Mehrheit der Parlamentssitze? In Umfragen liegen NUPES und die Partei von Emmanuel Macron fast gleich auf. Aber ob das Mélenchon auch zum Premierminister machen wird? Der französische Präsident hegt wenig Interesse für seine Herausforderer. Macron sagt: "Das ist eine Partei, die wollen einfach nur verbieten und eine Reichensteuer. Das ist nicht gut für unser Land."
Sollte NUPES die Mehrheit gewinnen und sollte Mélenchon tatsächlich zum Premierminister ernannt werden, dann befürchten viele Stillstand, blockierte Entscheidungen, lange Jahre der politischen Lähmung. "Nein, es wird keine politische Blockade entstehen", versucht die Linken-Kandidatin Julie Maury zu beschwichtigen: "Im Gegenteil: Es wird endlich wieder mehr Demokratie geben, Debatte. Anders als jetzt, wo der Präsident nicht diskutiert und andauernd alleine entscheidet."
Nur die geringe Wahlbeteiligung, die mache der jungen Frau Sorge, denn die könne das Bündnis doch noch um eine Mehrheit bringen. Und tatsächlich: Nach der geringen Wahlbeteiligung bei der Präsidentschaftswahl prognostizieren Umfragen nun, dass die Wahlbeteiligung heute sogar unter 50 Prozent liegen könnte.
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