Im Präsidentschaftswahlkampf benutzt das rechte und rechtsextreme Lager die Banlieues, um ein allgemeines Migrationsproblem zu zeichnen. Die Menschen in den Vororten wehren sich.
Zwei Monate vor den Wahlen in Frankreich nutzen die Rechten jede sich bietende Gelegenheit, um ihre zentrale Botschaft medienwirksam zu verbreiten: an einer zu liberalen Asylpolitik kranke die Grande Nation.
"Ich werde die Ghettos zerstören und den Dealern das Handwerk legen", kündigte die konservative Präsidentschaftskandidatin Valérie Pécresse bei ihrem Wahlkampfbesuch in Argenteuil nordwestlich von Paris an. "Dass sich ganze Teile der Gesellschaft abschotten, müssen wir verhindern", so die 54-jährige Präsidentin der Region Ile-de-France (Paris und Umgebung).
So neu sind diese Vorhaben einer vermeintlich neuen Vorstadtpolitik nicht. Seit Jahrzehnten versprechen führende Politikerinnen und Politiker gebetsmühlenartig, die soziale Durchmischung der Banlieues, also der Vororte, zu erhöhen. Geändert hat sich wenig. Sozialer Wohnungsbau bestimmt das Bild vieler Pariser Vorstädte. Wer es sich leisten kann, zieht weg.
Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit in Vorort Argenteuil
Wenn Sabrina Feltane, Sozialarbeiterin im Pariser Vorort Argenteuil, laut vorliest, baut sie lange Sprechpausen ein. Sie möchte alle Kinder am Tisch mitnehmen: "Das ist ein schönes Gefühl, für die Kinder da zu sein. Als Schülerin habe ich früher selbst von dem Angebot hier profitiert", sagt Feltane. Nach Schulschluss kommen die Kleinen in ihre Nachmittagsbetreuung.
Die meisten Kinder kommen aus schwierigen Verhältnissen. Die Arbeitslosigkeit in Argenteuil ist hoch, die Pandemie hat die soziale Ungleichheit noch verstärkt. Viele in den grauen Plattenbauten kommen gerade so über die Runden. Die Frustration schlägt mitunter in Gewalt zwischen der Polizei und Jugendlichen um. Dazu gibt es in den Vierteln vereinzelt auch Anhänger radikal-islamistischer Gruppierungen.
Ein echtes Sicherheitsproblem hätten sie aber in Argenteuil nicht, sagt Philippa Gomez, die die Nachmittagsbetreuung koordiniert: "Einige Teenager rutschen in die Kleinkriminalität ab. Aber so etwas findet man überall dort in Frankreich, wo Jugendliche keine Perspektive haben."
Rechtsextremer Kandidat Zemmour fordert radikale Sozialpolitik
Der rechtsextreme Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour versucht, in den Banlieues den Beleg für eine verfehlte Einwanderungspolitik zu ziehen: "In den Vororten sind ganze Viertel islamisiert. Bis zu 90 Prozent der Kinder sind afrikanisch. Die Gewalt in diesen Vierteln ist massiv", behauptet der 63-jährige wegen Volksverhetzung verurteilte Rechtspopulist.
Statistiken widerlegen diese Darstellung: In den Pariser Banlieues macht der Anteil von Kindern afrikanischer Einwanderinnen und Einwanderer ein Drittel aus. Nur punktuell ist der Anteil höher. Und laut Justizministerium ist der Anteil Strafgefangener ohne französischen Pass seit Jahren auf einem Allzeittief.
Das hält den rechtsextremen Zemmour nicht davon ab, eine radikale Sozialpolitik zu fordern: "Ich werde ein Gesetz abschaffen, das alle Kommunen verpflichtet, sozialen Wohnungsbau zu fördern. Wegen dieses Gesetzes werden alle Kebab-Buden, Drogenbosse, Imame und verschleierten Frauen in die Vorstädte abgeladen, in denen sich die Franzosen ein Eigenheim gekauft haben."
Politikverdrossenheit in den Banlieues
In Argenteuil versuchen sie solche pauschalen Aussagen zu ignorieren. Yazid Ziane unterrichtet Mathematik im Pariser Vorort: "Bei uns ist die Religionszugehörigkeit nicht ausschlaggebend. Alle gehen hier respektvoll miteinander um."
Quelle: Jachmann
Nach der Schule geht Ziane boxen. Im Ring seien dieselben Werte entscheidend, die er auch in der Schule vermittelt: "Im Boxen wie im richtigen Leben gibt es Rückschläge. Aber gerade in diesen Momenten ist es wichtig, einstecken zu können und fair zu bleiben".
Viele seiner jungen Trainingspartner dürfen bei Frankreichs Präsidentschaftswahlen am 10. April das erste Mal wählen. Doch mit dem Gedanken an die Urne zu gehen, hadern sie. Die Politik ändere für sie nichts. Gerade den rechtsextremen Parteien dürfte die hohe Wahlenthaltung in den Banlieues in die Karten spielen.