Frauen an der Front: "Hexe", Scharfschützin im Ukraine-Krieg
Ukrainerinnen an der Front:Scharfschützin im Krieg: Sie nennen sie Hexe
von Anne Brühl und Jenifer Girke
04.08.2022 | 14:54
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Früher war sie Sportschützin, jetzt gehört sie zu den Elitesoldatinnen der Ukraine. Ihre Mitkämpfer nennen sie Hexe - aus Respekt. Sie ist eine von vielen Frauen in diesem Krieg.
Ihr Kampfname ist „Hexe“. In der Ukraine wird die Scharfschützin als Heldin verehrt. Wie sie sind viele Frauen im Land geblieben, um ihre Heimat gegen Russland zu verteidigen.
03.08.2022 | 6:58 min
"Hexe" ist eine von vielen Frauen, die für die Ukraine in den Krieg ziehen. Laut der Vize-Verteidigungsministerin des Landes sind 38.000 Soldatinnen in der ukrainischen Armee, 5.000 davon an der Front. Hinzu kommen etliche weibliche Freiwillige, Frauen in der Territoritalverteidigung und Polizistinnen.
Ihren richtigen Namen will "Hexe" nicht verraten, ihr Gesicht ist vermummt - aber der Blick durch das Visier ist scharf und gnadenlos. Das ZDF auslandsjournal traf sie und weitere Frauen, die im Krieg für ihr Land kämpfen.
"Hexe" - ein Name aus Respekt für die Scharfschützin
Scharfschützen sind die, die ganz nah an den feindlichen Linien kämpfen. "Hexe" ist eine davon - lange war sie die einzige Frau im Team. Ihren Spitznamen gaben ihr ihre männlichen Mitkämpfer - aus Respekt.
Ihrer Präzision kommt keiner gleich. Wenn sie eine Position bezieht, baut sie sich diese sorgfältig auf, mit Tarnnetz und guter Sicht. Der Job einer Scharfschützin ist es zu töten. Ob "Hexe" schon getötet hat, will und darf sie nicht verraten. Dennoch gilt sie als eine Spezialistin in ihrem Handwerk - ein Handwerk, in dem sie immer besser, immer präziser werden will.
Meine tägliche Aufgabe ist es zu trainieren, weil jede Kampfmission Vorbereitung braucht. Das gilt für dich persönlich und für deine Waffe.
"Hexe", Scharfschützin Grenzschutz
Eine gute Vorbereitung ist bei ihren Einsätzen wichtig, überlebenswichtig. Zeit für Sensibilitäten hat sie nicht, manchmal nicht einmal für grundlegende Bedürfnisse: "Du musst eine bequeme und stabile Position finden, dann bewegst du deine Finger und Zehen, damit sie nicht taub werden. Was menschliche Bedürfnisse anbelangt - das musst du trainieren, das musst du aushalten können."
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Die Angst kontrollieren
Gefühle empfindet "Hexe" trotzdem - auch Angst. Es ginge darum, sie kontrollieren zu können:
Ja, natürlich habe ich Angst. Ich bin doch ein Mensch. Aber das gehört auch zu den Fähigkeiten von Scharfschützen. Wir müssen ruhig werden, wir müssen die Angst in den Griff bekommen.
"Hexe", Scharfschützin Grenzschutz
Die Angst in den Griff bekommen - das muss auch Olena Tschowpan immer wieder. Die Polizistin ist durch den Krieg ein Teil der Streitkräfte geworden.
Polizistin Olena: Sie muss auch Kriegsverbrechen dokumentieren.
Ihre Arbeit ist nun nicht mehr, für Recht und Ordnung im Alltag ukrainischer Bürger*innen zu sorgen, sondern russische Raketeneinschläge, teilweise Kriegsverbrechen, zu dokumentieren. Ob Militäreinrichtung oder Krankenhaus mit zivilen Opfern und Kindern - Tschowpan ist vor Ort.
Darauf wurden wir nicht vorbereitet, wir hatten kein entsprechendes Training. Unser Job hat sich dramatisch verändert. Die Prioritäten sind jetzt komplett anders.
Olena Tschowpan, Regionalpolizei Mykolayiv
An die Bombenalarme hat sie sich gewissermaßen gewöhnt - aber nicht an die Sorge um die Liebsten. Olena Tschowpan ist Mutter. Sohn und Tochter sind bei der Oma, als die Sirenen wieder heulen: "Ich vermisse sie immer. Wenn es Luftalarm gibt, wenn russische Raketen im Anflug sind und die Kinder nicht hier bei mir sind. Das macht mir Angst, weil du einfach nie weißt, wo die Rakete einschlagen wird."
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"Nur Waffen" können helfen
Auch Walentina Swintowska versteht sich als Kämpferin in diesem Krieg. Sie hat sich freiwillig gemeldet, um ihr Land zu verteidigen. Früher war sie Anwältin, doch dieses Leben ist erstmal vorbei.
Ich habe mich dazu entschieden, den Jungs hier zu helfen. Es geht nicht nur darum, sie mit Essen und Kleidung zu versorgen. Es geht darum, ihnen zuzuhören, weil sie in ständiger Gefahr sind.
Die südliche Front ist nicht weit weg von ihrem Standort. Gerade vermeldet die Ukraine in diesem Gebiet Erfolge. Aber wenn es nötig wäre, kann sich auch Walentina Swintowska vorstellen, zur Waffe zu greifen.
Es ist unmöglich, diesen Krieg diplomatisch zu beenden. Russland hat ja schon gezeigt, wozu es fähig ist. Nur Waffen können die Russen dazu bringen, das Land zu verlassen.
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Sieg, Freiheit - und "nur das Beste"
Ein Ende des Krieges. Das wünscht sich auch Polizistin Tschowpan: "Wir freuen uns auf den Sieg. Wenn wir den erreichen, dann haben wir alles. Unsere Träume werden wahr. Selbst solche einfachen, wie wieder einen Spaziergang durch die Stadt zu machen."
"Hexe" verbindet mit einem Sieg nicht nur die persönliche Freiheit: "Entwicklung für unser Land, Neugestaltung. Europäische Integration. Nur das Beste", sagt sie und bezieht wieder Stellung unter ihrer Tarnung, die Waffe fest im Griff.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.