Nicht nur Militär, auch Privatpersonen kämpfen im Ukraine-Krieg. Fluchtkorridore verlieren so ihre Funktion - der Kampf gewinnt an Brutalität, kritisiert Ex-General Jacobson.
Sowas gab es kaum noch auf deutschen Autobahnen: Lange Militärkolonnen, mit denen Kräfte verlegt oder Übungen abgehalten wurden. Erst nach Wladimir Putins Annektion der Krim 2014 kamen in mehreren Etappen wochenlang wieder Tieflader mit Panzern auf die Straßen: Amerikanische Verstärkung unterwegs über deutsche Häfen an die Ostflanke der Nato, von Rumänien bis zum Baltikum.
"Als 2008 der Konflikt in Georgien startete, gingen wir noch davon aus, wir brauchen für einen massiven Konflikt mit Russland zehn Jahre Vorwarnzeit. Die Ereignisse damals hätten zu einer neuen sicherheitspolitischen Bewertung führen müssen", urteilt General a.D. Carsten Jacobson, bis 2018 stellvertretender Inspekteur und Kommandeur Einsatz des Heeres.
Jetzt wird es schwer, so Jacobson, die Verteidigungsfähigkeit in aller Eile zu verstärken. "Panzer bestellt man nicht im Internet, und das Nadelöhr ist derzeit auch das Auffüllen und die Bevorratung von Munition." Vor allem Munitionsnachschub für die Luftwaffe sei teuer, dahin wird wohl ein großer Teil der zusätzlichen Mittel für die Bundeswehr fließen.
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Jacobson: Krieg wird durch Söldner brutaler
Mit dem Blick auf die Ukraine macht sich der pensionierte Militär, der auch als stellvertretender Kommandeur der internationalen Truppen in Afghanistan gedient hat, große Sorgen:
Damit werde die Auseinandersetzung brutaler und unkontrollierbarer, Zivilisten sind der Gewalt noch hilfloser ausgeliefert.
Rücksichtslosigkeit hat auf dem Schlachtfeld Einzug
"Die Russen haben letztlich damit begonnen, indem sie sich an die Regeln des Völkerrechts nicht mehr halten", sagt Jacobson. Aber mit Privatleuten, von den "die meisten letztlich zum Spaß am regellosen Kämpfen" kämen, hielten zusätzlich Willkür und Rücksichtslosigkeit Einzug auf dem Schlachtfeld.
Vertrauliche Berichte aus dem Kampfgebiet, die das ZDF einsehen konnte, bestätigen solche Entwicklungen, wie der Ex-General sie beschreibt.
"Zugereiste mit der Lust zu töten"
Vor allem in der heftig umkämpften Stadt Mariupol wird das Gesicht des Krieges täglich noch hässlicher. Dort sind Einheiten der Donbas-Separatisten an der Front, daneben setzen die Russen wohl ausländische Kämpfer ein, Tschetschenen und möglicherweise straßenkampferfahrene Syrer.
Auf Seiten der Ukrainer kämpfen neben Ultranationalisten, die sich angeblich nur bedingt dem militärischen Oberkommando von Präsident Selenksyj unterordnen, inzwischen auch schon eine große Zahl internationaler Freischärler.
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"Damit entmenschlicht sich das Geschehen zusätzlich", so Carsten Jacobson. "Wir haben das in Sarajevo damals gesehen, wo viele dieser Zugereisten nicht mit politischen Motiven kamen, sondern einfach mit der Lust am Töten."
Fluchtkorridore werden zur Falle
Es macht die desaströse humanitäre Lage noch schwieriger. Bis zu 400.000 Menschen sollen nach wie vor in Mariupol in der Ostukraine eingeschlossen sein, hieß es am Sonntag. Fluchtkorridore werden dort zu gefährlichen Fallen für Zivilisten, weil sie immer wieder beschossen werden. Eine Seite beschuldigt die andere, dafür verantwortlich zu sein.
"Humanitäre Korridore sind militärisch nur noch begrenzt kontrollierbar, wenn sie es nicht mehr nur mit regulärem Militär zu tun haben, das die Kommandokette einhält", erklärt General a.D. Jacobson, macht sich aber auch über das Vorgehen des russischen Militärs keine Illusion:
Fluchtkorridore Thema bei Schröder-Besuch?
Fluchtkorridore für die Menschen in Mariupol, dieses Thema soll nach ZDF-Informationen auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bei seinem offenbar mehrere Stunden dauernden Treffen mit Wladimit Putin angesprochen haben.
Inwieweit der russische Präsident sich von seinem Männerfreund erweichen lassen könnte, den Feldzug nicht mit eskalierender Brutalität fortzusetzen, ist bislang nicht bekannt. Bundeskanzler Scholz soll allerdings zeitnah über die Details des Gespräches infomiert worden sein.
Weggefährten Schröders gehen davon aus, dass der Altkanzler seine Privatreise für den Frieden nicht öffentlich ausschlachten wird, erst recht wenn sie Früchte getragen haben sollte. Auch nicht, um seine angeschlagene Reputation zu retten. Schröder geriet heftig unter Feuer, weil er an seiner Lobbyistenarbeit für Russland festhält.
Die Inhalte einer Vermittlung durch Gerhard Schröder beim türkischen Präsidenten Erdogan 2017 werden bis heute streng vertraulich gehandelt. Damals war Schröder auf Bitten von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel unterwegs und erreichte die Freilassung eines deutschen Menschenrechtsaktivisten.
Ex-SPD-Chef: Schröder geht es nicht um seinen Ruf
Gabriel kommentiert Schröders aktuelle Moskaureise gegenüber dem ZDF so: "Ihm geht es sicherlich um die Sache, nicht um seinen Ruf. Gerhard Schröder interessiert nicht, was die Leute von ihm denken. Er macht es, wie er es für richtig hält. Nicht umsonst hat er sich zum Abschied aus dem Kanzleramt 'I did it my way' gewünscht."
Gerhard Schröder und Frau sind offenbar inzwischen zurück in der Heimatstadt Hannover, dort wurden sie am Wochenende gesehen.
Peter Kunz leitet das ZDF-Landesstudio in Niedersachsen.
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Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.