So sehr wir die Energiewende wollen: Atomenergie darf keine Zwischenlösung sein, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert. Denn eigentlich ist ja alles da.
Am 11. März 2011 lernte die Welt: Es gibt kein sicheres Atomkraftwerk, auch nicht in einem reichen Hochtechnologieland wie Japan. Der Reaktorunfall in Fukushima mag die Folge eines sehr unwahrscheinlichen Zusammentreffens vieler Faktoren gewesen sein. Aber auch solche Unwahrscheinlichkeiten passieren - mit katastrophalen Folgen.
Die Ortsnamen Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima haben sich warnend ins Gedächtnis der Menschheit eingebrannt - sie alle stehen für große Unglücke in Atomkraftwerken. Doch trotzdem verbreitet sich nur zehn Jahre später die Legende von "Atomkraft als klimafreundlicher Brückentechnologie".
Atomkraft ein, Kohlekraftwerke aus?
Angesichts des spürbaren Klimawandels scheint die Frage verlockend, ob man nicht die drohende Klimakatastrophe durch eine zwar riskante, aber bekannte Technologie verhindern könne.
Die Idee ist simpel: Atomkraft ein, Kohlekraftwerke aus - fertig ist die klimafreundliche CO2-Bilanz. "Milchmädchenrechnung" würde ich es nennen, wäre das Ganze nicht ein ziemlich schlichter Verkaufstrick der Fossil-und Atom-Industrie.
-
Jeder Kellner lernt, wie man einen Gast wunschlos glücklich macht. Bei der Bestellung heißt die Frage nicht: Was möchten Sie trinken?, sondern: Kaffee oder Tee? Dann vergisst der Gast, dass er vielleicht lieber Kakao oder Limonade getrunken hätte.
Welche Energie würden wir uns wünschen, wenn wir offen gefragt würden? Wahrscheinlich eine sichere, umwelt- und klimaschonende und günstige Energie, die weltweit unbegrenzt verfügbar ist. Und siehe da:Sie sind sicher, umwelt- und klimaschonend und - je stärker und länger wir sie nutzen - immer günstiger. Was den Preis angeht, ist Solarstrom schon jetzt konkurrenzlos billig.
Atomenergie ist das Lieblingsinstrument von Autokraten
Kernkraftwerke dagegen sind wahnsinnig teuer. Ökonomisch sind sie schlichtweg unrentabel. Studien zeigen: Eine Investition in einen neues, exemplarisches AKW mit 1.000 Megawatt elektrischer Leistung führt durchschnittlich zu Verlusten von knapp fünf Milliarden Euro.
Die großen AKW-Bauer Westinghouse und Framatome (ehemals Areva) sind bankrott; die verbliebenen Energiekonzerne wollen die unrentablen Reaktoren möglichst rasch zuschließen oder versuchen, die finanzielle Verantwortung dem Staat zuzuschieben.
Nicht der Markt, sondern vor allem Atommächte halten an der nuklearen Entwicklung fest, etwa China und Russland, und zwar aus politischen, militärstrategischen Gründen.
Atomenergie ist das Lieblingsinstrument von Autokraten und Monopolisten; Demokratien und freie Märkte bevorzugen ein dezentral organisiertes Energiesystem, in dem sich eine Vielzahl von Anbietern im konstruktiven Wettbewerb zu einem sicheren Versorgungsnetzwerk zusammenschließen.
Verzweifelt gesucht: Atommüll-Endlager
Und dann ist da noch das vermaledeite Müllproblem. Auch nach 70 Jahren Atomforschung gibt es keine Lösung für den gigantischen Müllberg radioaktiver Altlasten, die noch eine Million Jahre umwelt- und gesundheitsschädlich strahlen. Wohin damit? Endlager verzweifelt gesucht.
Noch 30.000 Generationen werden mit diesen Hinterlassenschaften der Atomindustrie zu kämpfen haben. Genügt nicht der menschengemachte Klimawandel als Erblast des 20. Jahrhunderts?
Bis 2022 werden 29.000 Kubikmeter Atommüll entstanden sein. Bis heute weiß niemand, wohin damit.
Übrigens: Atomkraftwerke sind keineswegs CO2-frei. Bei der Produktion der Kraftwerke, beim Abbau von Uran und beim jahrelangen Rückbau der Anlagen entstehen in erheblichem Umfang Treibhausgase.
Erneuerbare Energie lohnt sich auch ökonomisch
Heute produzieren die erneuerbaren Energien bereits 50 Prozent des Stroms in Deutschland und damit mehr als Atomkraftwerke je beigesteuert haben. Atomenergie wurde komplett durch Erneuerbare ersetzt und die größte Volkswirtschaft Europas dadurch nicht zurück ins Mittelalter katapultiert.
Hätten wir vor 20 Jahren, als der Atomausstieg in Deutschland beschlossen wurde, die Rahmenbedingungen für eine konsequente Energiewende geschaffen, könnten wir heute eine Vollversorgung mit Sonne, Wasser, Wind und Geothermie, also einem intelligenten Mix aus erneuerbaren Energien haben.
Zehn Jahre nach Fukushima ist evident: Jegliche Verlängerung konventioneller Energien behindert den Umstieg zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien.
"Brückentechnologien" führen ins Nichts. Wir brauchen keinen Rückschritt, sondern Fortschritt. Wer das Klima wirklich schützen will, setzt auf erneuerbare Energie. Zu hundert Prozent!
Redaktioneller Hinweis: Ein einer früheren Version hieß es: "Beim Abbau von Uran wird das noch viel klimaschädlichere Treibhausgas Methan freigesetzt."
Das ist nicht korrekt, wir haben den Fehler korrigiert.