Zehn Jahre nach der Katastrophe in Fukushima ist vom Wiederaufbau kaum etwas zu sehen. Solaranlagen auf verstrahlten Feldern: Von den Mühen der Opfer profitiert ausgerechnet Tepco.
Nobuyoshi Itoh nimmt uns mit auf eine Fahrt durch Iitate. Das Dorf ist einer der am stärksten radioaktiv belasteten Orte Japans.
Rechts und links der Straße Zäune, an denen Warnschilder angebracht sind. Die Einfahrten zu den Häusern und Grundstücken verbarrikadiert. Von Wiederaufbau keine Spur. Teile Tomiokas sind noch immer Sperrgebiet. Der Ort, etwa sieben Kilometer südlich des vom Stromkonzern Tepco betriebenen Atommeilers von Fukushima, war unmittelbar nach den Explosionen in den Reaktoren vor zehn Jahren evakuiert worden.
Immer noch Sperrzone in Tomioka
Hier treffen wir Yoko Endo. Sie ist in Tomioka geboren. Seit der Evakuierung lebt sie in Iwaki Stadt, dreißig Kilometer weiter südlich In das Haus, in dem sie vor der Katastrophe mit ihrem Mann lebte, will sie nicht zurück, obwohl die Behörden es wieder freigaben. Die Strahlung sei noch immer zu hoch, sagt sie.
Fünfhundert Meter entfernt steht ihr Elternhaus. Es liegt noch immer in einer Sperrzone. Durch Absperrungen und meterhoch wucherndes Unkraut hindurch sieht man davon nur noch das Dach. Aber genau das brachte sie auf eine Idee.
Solarfelder auf brachliegenden Feldern
erzählt sie. Noch Jahrzehnte würden die Reisfelder der Familie wegen der radioaktiven Belastung nicht zu bewirtschaften sein, ebenso die der Nachbarn. Und Atomstrom dürfe hier doch keine Zukunft mehr haben, wo er so viel Leid über die Bevölkerung gebracht habe.
Die 71-Jährige mit den grauen Haaren und der randlosen Brille spricht mit klarer Stimme. Und überzeugte dreißig Familien aus der Gegend von der Idee, eine Solarstromanlage auf den brachliegenden Feldern zu bauen. Sie nahmen Kredite auf und steckten die von Tepco und der Regierung gezahlten Entschädigungen in den Kauf von 110.000 Solarpanelen.
32 Megawatt, 20 Jahre Kredit-Rückzahlung
Über 34 Hektar erstreckt sich die Solarfarm heute, mit einer Nennleistung von 32 Megawatt. Über 20 Jahre werden sie die Kredite abstottern. Hinzu kommen jährliche Betriebskosten von umgerechnet etwa 200.000 Euro. Aber was hätten sie für eine Wahl gehabt? Immerhin garantierte die japanische Regierung zunächst relativ hohe Abnahmepreise, um Anreize für den Ausbau erneuerbarer Energien zu schaffen.
Deren Anteil am Strommix soll bis 2030 auf rund ein Viertel steigen. Zum Zeitpunkt der Atomkatastrophe 2011 hatte er bei unter zehn Prozent gelegen. Dann aber wurde den Stromkonzernen der Ökostrom zu teuer. Der Staat führte ein Auktionssystem für die Einspeisung von Solarstrom aus Großanlagen ein, in der Folge sanken die Preise deutlich. Und plötzlich bebt Yoko Endos Stimme vor Wut:
Ökostrom fließt ins Tepco-Netz
Yoko Endos Ökostrom fließt also kostenpflichtig ausgerechnet ins Netz der Betreiberfirma des Unglücksmeilers. Als wäre sie nicht schon gestraft genug. Mit ihrer Wut ist sie nicht allein. In der landwirtschaftlich geprägten Region rund um das havarierte Kraftwerk sind mancherorts gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung zurückgekehrt. Gerade Jüngere fürchten die Perspektivlosigkeit.
Denn hier profitiert niemand vom Wiederaufbau der Region, erzählen die Menschen in Orten wie Tomioka, Futaba, oder Minamisoma - außer den großen Baufirmen, die Dekontaminierungsmaßnahmen durchführen, Straßen erneuern, Häuser bauen oder Tsunami-Schutzmauern errichten. Und allesamt der Regierungspartei LDP nahestehen.
Wie die großen Stromkonzerne auch. "Nuclear village", nukleares Dorf nennen sie in Japan das System enger Verbindungen zwischen Staat, Partei und Energieunternehmen. Wie mächtig dieses System noch immer ist, spürt auch Yoko Endo.