Kann man sich mit Russlands Außenminister Lawrow an einen Tisch setzen? Eigentlich nicht, sagen die Außenminister des Westens. Aber beim G20-Treffen auf Bali werden sie müssen.
Ein Treffen mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow? "Steht überhaupt nicht zur Debatte und ist auch nicht geplant", lässt das Auswärtige Amt in Berlin wissen. Aus dem State Department in Washington heißt es: "Dafür ist nicht die richtige Zeit." Und auch die Außenministerien in London, Paris, Rom, Ottawa, Tokio, Canberra und Seoul teilen mit: Im Moment sei nicht an ein Treffen mit dem Kollegen aus Russland zu denken. Wobei manchen schon die Bezeichnung "Kollege" schwerfällt.
Welt ist kleiner geworden für Lawrow
Seit Russland am 24. Februar die Ukraine überfallen hat, ist die Welt kleiner geworden für Moskaus Außenminister Sergej Lawrow. Die Länder, die der EU, der Nato oder den G7 angehören, haben versucht, Russland nicht nur wirtschaftlich, sondern auch diplomatisch zu isolieren. Reisen in westliche Staaten kommen für Lawrow nicht mehr in Frage. Telefonate und Videokonferenzen wurden reihenweise abgesagt.
Als Lawrow Anfang März beim Treffen des UN-Menschenrechtsrats in Genf auf den Großbildschirmen auftauchte, verließen dutzende Delegationen den Saal. Sie verpassten eine der aggressivsten und feindseligsten Reden, die Lawrow in seiner jahrzehntelangen Ministerlaufbahn gehalten hat. In bis dahin nie gehörter Härte beschuldigte der 72-Jährige die Regierung der Ukraine, einen Genozid an Russen zu begehen: "Ganz im Geiste von Nazi-Deutschland".
Putin könne bei den G20 zeigen, "dass Russland international gar nicht so isoliert ist", sagt Phoebe Gaa, ZDF-Korrespondentin in Moskau, nach dem Treffen von Putin und Indonesiens Präsident Widodo.
Lawrow leugnete bevorstehenden Angriff noch kurz vor Krieg
Belege lieferte Lawrow nicht, im Gegenteil. Noch in der Woche vor dem Überfall hatte der Russe alle Fragen nach einem bevorstehenden Angriff auf die Ukraine als "westliche Hysterie" zurückgewiesen, für die es keinerlei Grund gebe: "All diese Szenarien sind komplett paranoid."
Kann man sich mit einem Außenminister an einen Tisch setzen, der so offensichtlich lügt? Der einem Nachbarstaat das Existenzrecht abspricht ("Niemand braucht die Ukraine")? Der den USA vorwirft, Europa "genau wie Hitler" unter Kontrolle gebracht zu haben? Der die Wirklichkeit auf den Kopf stellt, indem er behauptet, nicht Russland, sondern der Westen habe "den totalen Krieg" erklärt? Die Antwort müssen die westlichen Außenminister auf Bali geben, wo am Donnerstag und Freitag das Treffen der 20 wichtigsten Schwellen- und Industrieländer (G20) stattfindet.
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Russland zurück in die internationale Gemeinschaft holen?
Falls es die Hoffnung gab, dass Russland die Einladung der aktuellen G20-Vorsitzenden, der indonesischen Außenministerin Retno Marsudi, nicht annimmt, hat sie sich vergangene Woche zerschlagen. "Minister Lawrow wird teilnehmen", teilte Moskaus Außenministerium per Twitter mit.
Damit hatten die westlichen Chefdiplomaten die Wahl. Absagen? Und mit der Kritik leben, den Dialog zu verweigern? Zusagen? Und mit der Kritik leben, das kriegführende Russland zurück in die internationale Gemeinschaft zu holen?
Die Beratung mit internationalen Partnern sei "wichtiger denn je", erklärte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), bevor sie am Mittwochabend die 18-stündige Reise nach Bali antrat.
Westen bemüht sich um China und Indien
Die Entscheidung, den Gipfel nicht zu boykottieren, dürfte den westlichen Außenministern schwergefallen sein, aber sie passt zu ihren Bemühungen, die anderen G20-Staaten nicht noch weiter ins pro-russische Lager abgleiten zu lassen. Vor allem um die Schwergewichte China und Indien, die Russlands Angriffskrieg bisher nicht verurteilt haben, bemüht sich der Westen. Aber auch Südafrika, Brasilien oder Indonesien sollen weiter umworben werden.
So undenkbar ein Besuch von Russlands Außenminister in einer westlichen Hauptstadt ist, in vielen afrikanischen und asiatischen Staaten wird Lawrow behandelt, als wäre nichts gewesen. Vor seiner Reise nach Bali zum G20-Gipfel wird Moskaus Chefdiplomat die Mongolei und Vietnam besucht haben.
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Treffen mit Lawrow von westlichen Ministern ausgeschlossen
In den Wochen seit dem Überfall hat Lawrow überdies Staaten wie die Türkei, China oder den Oman bereist. Am Rand des G20-Gipfels werde Lawrow eine Reihe weiterer Treffen abhalten, teilte sein Ministerium mit. Um welche Staaten es sich dabei handelt, blieb zunächst unklar.
Die westlichen Außenminister um die aktuelle G7-Vorsitzende Annalena Baerbock haben bilaterale Treffen mit Lawrow kategorisch ausgeschlossen. Was aber passiert, wenn der Russe im großen Verhandlungsraum Platz nimmt oder das Wort ergreift, haben sie offengelassen. Man wolle kein "business as usual", aber man wolle auch das Format G20 nicht beschädigen, heißt es in der Bundesregierung. Die Vertreter des globalen Westens wollen nicht mit Lawrow an einem Tisch sitzen. Aber sie werden es müssen.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.