Söder will es, Kretschmer auch: In der Gaskrise hofft mancher auf Fracking. Wie realistisch ist das? Experten halten die Risiken für beherrschbar. Aber schnell ginge da nichts.
Für Umweltschützer, für viele Menschen aus Niedersachsen ist es ein rotes Tuch: Fracking. Aufregen braucht man sich darüber eigentlich nicht: Seit 2017 ist in Deutschland Fracking verboten, also die Förderung von Erdgas oder Erdöl, das mit Druck aus Gesteinsformationen gebrochen wird. 15 bis 20 Prozent des deutschen Gasbedarfes, so wird geschätzt, könnte gefördert und durch Fracking-Gas gedeckt werden.
Das schürt Hoffnungen in der Gaskrise und Energiekrise, endlich unabhängig von Russland zu werden. Doch wie realistisch ist das?
Opposition in Niedersachsen nicht begeistert von Fracking
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte Fracking wieder ins Spiel gebracht. Nicht in der Oberpfalz, wo es auch Vorkommen gibt, sondern in Niedersachsen. "Im Moment ist es vernünftig, alle Optionen auf den Tisch zu legen und ideologiefrei zu diskutieren", hatte er der "Süddeutschen" gesagt. Mit "Geht’s noch?" hatte darauf Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) reagiert.
Dort ist am 9. Oktober Landtagswahl, ein Thema zur Unzeit, das bei den Wählerinnen und Wählern offensichtlich so schlecht ankommt, dass auch CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann zurückhaltend ist.
Explodierende Gaspreise, leere Speicher, Angst vor Rationierung und Abschaltung– Putins Krieg hat Deutschlands Abhängigkeit von russischem Erdgas gnadenlos offengelegt.
Rechtlich ist die Sache klar, Fracking ist verboten. Die Sorge ist: Grundwasser wird verschmutzt, Mikro-Erdbeben könnten entstehen, Methan kann ausweichen. Die Technik gibt es seit Jahrzehnten, allerdings wurde sie bislang kaum in Deutschland angewendet. Im Gegensatz zu den USA, die dadurch vom Gasimporteur zum -exporteur wurden und demnächst ihr Frackinggas zu den neuen LNG-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven liefern wollen.
Warum die Bundesregierung nicht das Fracking-Verbot aufhebt, verstehen Expertinnen und Experten nicht.
Forscher: Methode ist sicher
Mohammed Musa Amro forscht seit Jahren zu dem Thema an der TU Bergakademie Freiberg. "Die Methode ist sicher", sagt der Direktor des Instituts für Bohrtechnik und Fluidbergbau.
Die Mikro-Erdbeben könnten ausgeschlossen werden, wenn die Abstände zwischen den Gesteinsaufbrüchen weiter auseinander liegen. Bohrungen seien heute so sicher, dass unkontrollierte Ausströmungen praktisch nicht mehr vorkämen. Das Grundwasser werde zudem kaum beeinträchtigt, da bei den Bohrungen Gesteinsschichten voneinander getrennt werden. Über dem gefrackten Schiefergestein etwa seien mehrere sichere Deckschichten, das Grundwasser zudem viel höher.
Knackpunkt ist das Mittel, um das Gestein mit hohem Druck aufzubrechen, das sogenannte Fracfluid.
Laut Amro besteht es zu 98 Prozent aus Wasser und Sand. Zwei Prozent der Flüssigkeit bestehen aus Zusatzstoffen, die nötig sind, damit sich die Gesteinsrisse, aus denen das Gas strömt, nicht wieder verschließen. Die sind das Problem.
Versuche mit Stickstoff oder Kohlendioxid hat es schon gegeben, die aber alle spätestens seit dem Gesetz zum Fracking-Verbot abgebrochen wurden. "Politisch wird die Methode abgelehnt, aber wissenschaftlich ist sie einwandfrei", sagt Amro.
Kommission: Fracking-Risiko bleibt, ist aber beherrschbar
Zu einem ähnlichen Schluss kommt die Expertenkommission Fracking, die noch von der vorherigen Union-SPD-Bundesregierung eingesetzt worden ist. Unter der Voraussetzung von strenger Überwachung der Bohrungen durch Satelliten und Drohnen, dem Mindestabstand von 500 Metern zwischen den Bohrungen und dem Einsatz neuester Technik sei das Risiko von Fracking aus unkonventionellen Lagerstätten für das Grundwasser "als gering einzuschätzen".
Allerdings, das räumt das Gremium in seinen Berichten ein, es fehlen für Deutschland praktische Erfahrung und weitere Untersuchungen. Bislang muss man sich vor allem auf Studien anderer berufen. Das deutsche Wasserschutzgesetz erlaubt derzeit vier Forschungsbohrungen. In dem Bericht heißt es: "Die Expertenkommission empfiehlt den zuständigen politischen Gremien, eine solche Entscheidung umgehend zu treffen." Aber: "Ein Restrisiko wird immer bestehen."
Holger Weiß, Vorsitzender des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig, sagt allerdings: "Das Risiko ist beherrschbar." Weiß dämpft aber die Erwartungen: Bislang habe kein Bundesland eine Forschungsbohrung beantragt. Bis diese überhaupt genehmigt würde, dauere es Monate und Jahre.
Und klar sei auch: Das so gewonnene deutsche Erdgas werde am Ende teurer als das von Russland importierte. Deswegen hatte man bislang auch kaum an Fracking Interesse, weder in der Politik noch in der Industrie.
Ministerium: Kein Anlass für Gesetzesnovelle
Das Bundesumweltministerium sieht derzeit keinen "Anlass, die gesetzlichen Rahmenbedingungen" zu ändern und "kommerzielles, unkonventionelles Fracking zu ermöglichen", so ein Ministeriumssprecher. Derzeit gebe es weder Initiativen für eine Probebohrung von Ländern noch Unternehmen. "Initiativen der Bundesregierung, Länder bei Erprobungsmaßnahmen zu unterstützen, gibt es daher nicht."
Jan-Niclas Gesenhues, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, unterstützt den Anti-Fracking-Kurs. Die Methode gehöre zurück in die "Mottenkiste":
Bürgerinitiativen gegen das Fracking sind alarmiert. Sie protestieren gegen die geplanten LNG-Terminals, Ende August plant die Initiative Gas-Exit Berlin ein Protestwochenende. Bereits im Mai hatten 46 Initiativen aus ganz Deutschland in einem Brief an Kanzler Scholz der Expertenkommission vorgeworfen, dass sie sich "in wesentlichen Sachverhalten auf veraltete Gutachten beziehen, bzw. auch Daten zusammenführen, die zwangsläufig ein falsches Bild des Gefährdungspotentials der Frackingtechnik zeichnen".
Aus Fracking gewonnenes Erdgas, womöglich noch flüssiges Erdgas, das sogenannte LNG, sei noch klimaschädigender als Braunkohle. Sie forderten von Scholz:
- Wie es um unsere Gasversorgung steht
Wie viel Gas verbrauchen Haushalte und Industrie? Wie voll sind die Gasspeicher? Wie viel Gas bekommt Deutschland? Grafiken zur Gasversorgung in Deutschland.