Energiekrise: 200 Milliarden Euro und drei Fragezeichen
200 Milliarden Euro:Energiekrise: Drei Fragezeichen bleiben
von Kristina Hofmann
21.10.2022 | 17:16
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200 Milliarden Euro für die Energiekrise: Doch wann und wofür genau, bleibt offen. Die Länder fordern die Gaspreisbremse ab Januar. Aber nicht alles, was sie fordern, stimmt.
Das Geld ist da, wofür es ausgegeben werden soll, ist auch klar. Doch wie genau, wann und an wen: Darüber gibt es immer noch keine Klarheit.
Mit 200 Milliarden Euro sollen in den nächsten zwei Jahren eine Gas-, Strompreisbremse und Finanzhilfen an Unternehmen finanziert werden, um die Folgen der Energiekrise abzufedern. Zumindest der Bundestag hat am Freitag das Geld freigegeben. Doch Bund und Länder ringen weiter um das Wie und Wofür.
Länder raten von Hilfe-Hin-und-Her ab
Am prinzipiellen Willen fehlt es offenbar nicht. "Wir machen Fortschritte", sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nach der zweitägigen Sitzung der Länder in Hannover. In seltener Einstimmigkeit waren sich alle 16 bei der Ministerpräsidentenkonferenz in Hannover einig, dass die Vorstellungen der Kommission für die Gaspreisbremse nicht akzeptabel seien. Diese hatte vorgeschlagen: Der Bund solle im Dezember den zumeist sehr viel höheren Abschlag übernehmen, die echte Gaspreisbremse solle aber erst im März greifen.
"Erst Hilfe, dann Januar und Februar nichts, dann wieder Hilfe: Vor diesem Hin und Her könne man nur dringend abraten", so Weil.
Das werden die Bürgerinnen und Bürger nicht verstehen.
Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsen
Alle 16 Länder hätten "erhebliche Sorgen", um das "gesellschaftliche Klima" insgesamt. Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, bekräftigte das: "Davon kann man nur abraten." Man brauche jetzt Klarheit. "März ist absolut zu spät", sagte auch Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin aus Mecklenburg-Vorpommern.
Habeck: Bleiben bei Kommissions-Vorschlägen
Doch selbst wenn sich die Länder parteiübergreifend einig sind: Mit dem Bund sind sie es weiterhin nicht. Zwar versicherten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) nach ihrem heutigen Treffen mit den Ländern, man habe "sehr gute" und "konstruktive Gespräch" geführt. Auch Weil sprach von mehr "Offenheit" für die Position der Länder. An den Kommissionsvorschlägen zur Gaspreisbremse will der Bund trotzdem festhalten.
Laut Habeck sei "die Ansage" der Bundesregierung:
Wir setzen die Vorschläge der Kommission um.
Robert Habeck (Grüne), Wirtschaftsminister
Er fügt hinzu: "So gut es eben geht". Vor allem EU-rechtlich sei die Unterstützung der Unternehmen nicht einfach. Laut Lindner arbeite der Bund derweil an "einem Modell" mit "höchstem Tempo".
Modell Torgelow mit kleinen Fehlern
Ob die Vorschläge der Länder dabei berücksichtigt werden, blieb am Freitag offen: Wüst forderte, dass die Gaspreisbremse, wenn sie schon erst im März kommt, rückwirkend auch für Januar und Februar ausgezahlt werden müsse. Außerdem fordern die Länder auch Entlastungen für Menschen mit Öl- und Pelletheizungen, Bayern will zudem eine Senkung der Spritpreise.
Füllstand der deutschen Gasspeicher
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Schwesig plädierte für das Modell Torgelow: Die dortigen Stadtwerke hätten auf die hohen Abschlagszahlungen verzichtet, weil der Bund ja zugesichert habe, dass die Gaspreisbremse kommt. Dann brauche man die Menschen auch nicht jetzt belasten. "Das ist eine einfache, pragmatische Lösung", so Schwesig. Auch Weil machte Werbung für das Vorbild Torgelow.
Allerdings: Die Stadtwerke Torgelow, etwa 60 Kilometer östlich von Neubrandenburg, bestätigten das auf Anfrage von ZDFheute so nicht. Die Abschlagszahlungen wurden am 1. Oktober zwar gesenkt. Aber nicht wegen der künftigen Preisdeckelung, sondern weil Habecks Gasumlage nicht umgesetzt wurde.
Bundestag: Opposition gegen Rettungspaket
Noch während die Länder in Hannover tagten, machte der Bundestag den Weg dafür frei, dass 200 Milliarden Euro überhaupt verteilt werden können. Und das mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen, ohne die der Opposition. Vor allem die Union lehnte das Rettungspaket mit markigen Worten ab.
Vize-Fraktionsvorsitzender Mathias Middelberg (CDU) sagte, die Ampel-Regierung wolle sich "einen Geldsack von 200 Milliarden Euro in den Keller stellen". Sie verlange die Zusage über die Summe, ohne die Details für Strom-, Gaspreisbremse und Finanzhilfe der Unternehmen vorgelegt zu haben. Erst müsse man doch wissen, wofür man Geld ausgeben wolle. Middelberg sagte:
Es ist Schwachsinn, was Sie da machen.
Mathias Middelberg (CDU)
Gesine Lötzsch (Linke) warf der Regierung vor, sie wolle "die Katze im Sack verkaufen". Die Kosten würden auf Menschen mit mittleren Einkommen abgewälzt, statt eine echte Übergewinnsteuer einzuführen. Der AfD-Abgeordnete Albrecht Glaser prophezeite der Ampel, sie werde "dafür politisch bezahlen".
Die Ampel-Fraktionen verteidigten das Paket. Es gehe jetzt darum, die finanziellen Grundlagen dafür zu schaffen, damit die Gaspreisbremse kommen könne, so Fraktionsvize Matthias Miersch. Was die Union mache, sei "verantwortungslose Oppositionspolitik". SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sprach von "fadenscheinigen Argumenten" allein aus "parteitaktischen Gründen".
Wenn man den Bundeshaushalt öffnen würde, "wäre Geld für alles Mögliche da", der Abwehrschirm von 200 Milliarden sei aber ein "konkretes Instrument", sagt der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr.21.10.2022 | 6:09 min
Felix Banaszak (Grüne) hielt Unionsfraktionschef Friedrich Merz vor, "zwanghaft" Gründe zu suchen, die Ampel-Pläne abzulehnen. Die Grünen hätten dagegen in den großen Krisen - Corona oder in der Finanzkrise - die Regierung gestützt.
Warum haben Sie diese Größe nicht, Herr Merz?
Felix Banaszak (Grüne)
Demo in sechs Großstädten
Zehn Tage könnte es noch dauern, bis es konkrete Entscheidungen über die Entlastungen gibt. Nächsten Mittwoch kommt die nächste Steuerschätzung. Bund und Länder kommen eine Woche später, am 2. November, wieder zusammen. Dann mit Bundeskanzler Olaf Scholz, der an diesem Freitag in Brüssel über den Gaspreisdeckel verhandelte.
Antwort auf das Hin und Her könnten morgen diejenigen geben, um die es vor allem geht: die Menschen mit zu hohen Rechnungen für Strom und Heizung. Gewerkschaften, Umweltverbände und die Linke haben zu einer "Solidaritäts"-Demo in sechs Großstädten aufgerufen.
"Es gab noch nie eine solche Ungleichheit seit Kaiser Wilhelms Zeiten", so Martin Schirdewan, Parteivorsitzender Die Linke, und fordert "eine gerechte Verteilung der Krisenlasten".21.10.2022 | 4:26 min