Die Erdgasspeicher in Deutschland sind ungewöhnlich leer zu Jahresbeginn. Welche Gründe hat das? Und wie steht es um die Gasversorgung?
Der Winter ist noch lange nicht vorbei, doch die Füllstände der Erdgasspeicher in Deutschland bewegen sich weiterhin auf sehr niedrigem Niveau - aktuell sind sie nicht einmal zur Hälfte voll. Wie steht es um die deutsche Gasversorgung? Wichtige Fragen und Antworten:
Wie viel Erdgas lagert aktuell in den Speichern?
Am Dienstag waren die Erdgasspeicher nur noch zu knapp 45 Prozent gefüllt, wie aus einer Übersicht der europäischen Speicherunternehmen hervorgeht. Zum Vergleich: Vor genau drei Jahren, am 18. Januar 2019, lag der Wert bei 70 Prozent, am 18. Januar 2020 sogar bei 93 Prozent der Speicherkapazität.
Schon seit Anfang Mai 2021 lägen die Füllstände deutlich unter den Vergleichswerten seit Aufzeichnungsbeginn 2011, sagt Sebastian Bleschke vom Branchenverband der Speicherunternehmen, der Initiative Energien Speichern (INES).
Warum sind die Speicher wichtig?
Sie gleichen Schwankungen beim Gasverbrauch aus und bilden damit eine Art Puffersystem für den Gasmarkt. Wie gut sie gefüllt sind, hängt von der Jahreszeit ab.
Ohne Speicher würde die Versorgung an kalten Tagen nicht funktionieren, betont Bleschke. Die Speicher liefern dann bis zu 60 Prozent des benötigten Gases.
Wie viele Gasspeicher gibt es in Deutschland?
Laut Branchenverband INES gibt es 47 Untertagespeicher, die von rund 25 Firmen betrieben werden. Zwei Speichertypen kommen zum Einsatz: Kavernenspeicher in Salzstöcken, bei denen das Gas in Hohlräumen lagert, und Porenspeicher, bei denen das Gas in durchlässigen Gesteinen gehalten wird. Der Anteil der deutschen Speicher an den Kapazitäten der EU liegt bei rund einem Viertel.
Auch der russische Staatskonzern Gazprom betreibt über eine Tochtergesellschaft zwei Speicher in Deutschland, darunter den bundesweit größten im niedersächsischen Rehden. Auf ihn entfällt rund ein Fünftel der deutschen Speicherkapazität.
Die Speicher ergänzen den laufenden Gasbezug aus dem Pipeline-Import. Sie können maximal 255 Terawattstunden vorhalten, der Erdgasverbrauch lag 2021 in Deutschland bei etwa 1.000 Terawattstunden.
Ist Russland der einzige Gaslieferant Deutschlands?
Nein, aber der mit Abstand größte. 2020 kamen laut Monitoringbericht von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt Gaslieferungen aus folgenden Ländern:
- Russland - rund zwei Drittel
- Norwegen - etwa 20 Prozent
- Niederlande - knapp 12 Prozent
Auch in Deutschland wird Erdgas gefördert. 2020 lag die Menge bei gut 5 Prozent des inländischen Erdgasverbrauchs.
Warum ist der Füllstand der Speicher so niedrig?
Der Verband INES nennt mehrere Gründe: So war der April 2021 ungewöhnlich kalt - zu Beginn der Auffüllsaison wurde noch einmal viel Gas entnommen. Anders als in den Vorjahren seien im Sommer die Preise gestiegen. Der Gasmarkt habe deshalb verhalten reagiert und nicht so viel eingespeichert.
Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool sieht auch im Verhalten von Gazprom einen wichtigen Grund. Die Gasflüsse über die deutschen Grenzen seien unüblich niedrig für diese Jahreszeit - "mit Ausnahme von Nord Stream 1, die sind konstant hoch". Es sei verwunderlich, dass vor dem Hintergrund der hohen Preise und der hohen Nachfrage die Gaslieferkapazitäten Richtung Europa so wenig genutzt würden. Huneke vermutet den Grund für dieses Verhalten in der Ukraine-Krise.
Droht Deutschland ein Versorgungsengpass?
Experten wollen das zumindest nicht ausschließen. "Solange die russischen Gaslieferungen nach Europa auf dem normalen oder einem leicht unterdurchschnittlichen Niveau weitergehen, ist kein Versorgungsengpass zu erwarten", sagt Fabian Huneke. Es bleibe zunächst bei einer Energiepreiskrise. "Sollten die russischen Gaslieferungen aufhören oder fast aufhören, wird daraus auch eine Mengenkrise."
Allerdings drohe dem russischen Staatshaushalt dann wegen ausbleibender Devisen auch eine Art Versorgungsengpass, so Sebastian Bleschke von INES. Es gebe derzeit keine Hinweise, dass Gazprom seine Verträge nicht erfülle. Er hält einen Ausfall der russischen Gaslieferungen für "sehr unwahrscheinlich".
Was kann die Politik tun?
Zurzeit seien die staatlichen Möglichkeiten auf diesem Gebiet noch sehr begrenzt, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dem "Spiegel". Der Winter habe gezeigt, dass Deutschland mit reduzierten Beständen anfälliger für Preisschwankungen und geopolitische Spannungen sei.
"Deshalb müssen wir die Möglichkeiten verbessern, für den nächsten Winter vorzusorgen." Sollten Gaslieferungen aus Russland ausbleiben, hält Habeck ein Ausweichen auf andere Bezugsquellen für möglich. So seien die neu geschaffenen EU-Anlandungskapazitäten für Flüssiggas (LNG) in den Niederlanden, Polen und Italien erst zu 30 Prozent ausgelastet.
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