Die ukrainische Gegenoffensive zeigt Wirkung: Innerhalb weniger Tage wurde Russland auf einem großen Gebiet im Osten des Landes vertrieben. So läuft die Gegenoffensive ab.
Am 29. August startete die Ukraine ihre Gegenoffensive gegen die russischen Streitkräfte im Süden und Osten des Landes. Im Fokus standen dabei die Großstädte Cherson im Süden und Charkiw im Osten der Ukraine. Der Offensive vorangegangen waren zahlreiche gezielte Raketenangriffe auf Munitionsdepots und Versorgungs- und Kommunikationslinien der russischen Armee, ermöglicht durch schwere Waffen aus dem Westen, etwa die HIMARS-Mehrfachraketenwerfer der USA.
In beiden Landesteilen scheint die Gegenoffensive erfolgreich zu verlaufen, gerade in der Region südöstlich von Charkiw konnte die Ukraine in den letzten Tagen erhebliche Geländegewinne vermelden.
8. September 2022:
Die erste große Erfolgsmeldung verkündete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 8. September. Seit Anfang September hätten die ukrainischen Truppen mehr als 1.000 Quadratkilometer von den russischen Invasoren zurückerobert. Am selben Tag hatte er die Eroberung der Kreisstadt Balaklija bestätigt, die knapp 50 Kilometer nordwestlich von der Stadt Isjum entfernt liegt.
Zuvor hatte der ukrainische Brigadegeneral Olexij Gromow mitgeteilt, ukrainische Einheiten seien bis zu 50 Kilometer hinter die russischen Linien vorgedrungen und hätten mehr als 20 Dörfer in der Region Charkiw zurückerobert.
Die 1.000 Quadratkilometer sind in Relation zum insgesamt von Russland besetzten Gebiet jedoch nur ein Bruchteil: Anfang Juni hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gesagt, dass Russland etwa 125.000 Quadratkilometer der Ukraine einschließlich der Halbinsel Krim besetzt halte. Das ist etwa ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebietes.
9. September 2022
Die ukrainischen Truppen erzielen weitere Bodengewinne: Das Militär teilte mit, es habe das Dorf Wolochiw Jar in Charkiw übernommen und äußerte die Absicht, auf die strategisch wichtige Stadt Kupjansk vorzurücken. Damit würden die Russen von wichtigen Nachschubrouten abgeschnitten.
Der Chef der von Russland eingesetzten Militärverwaltung der Region Charkiw, Witali Gantschew, erklärte, die ukrainischen Truppen versuchten auch, die Verteidigung der etwa 20 Kilometer entfernten Stadt Schewtschenkowe zu durchbrechen. Russische Reserven seien dorthin gebracht worden und die Truppen "schlagen nun zurück".
- Russland droht eine empfindliche Niederlage
Die ukrainische Gegenoffensive im Norden und Süden des Landes kommt voran. In der Region Cherson konnten Gebiete zurückerobert werden. Das gefährdet russische Verteidigungslinien.
Immer häufiger tauchen jedoch Bilder russischer Kriegsgefangener aus der Region auf. Beobachter gehen davon aus, dass der schnelle ukrainische Vormarsch Gruppen von unorganisierten russischen Streitkräften überrascht hat. Anstelle von erfahrenen Kampfeinheiten hatte Russland zuletzt in diesen Gebieten vor allem schlecht ausgerüstete Gardeeinheiten eingesetzt. Ein Großteil des russischen Nachschubs der vergangenen Wochen ging in Richtung der Front im Süden.
Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte derweil Aufnahmen von russischen Militärkonvois, die Berichten zufolge auf dem Weg sind, um Kupjansk, Isjum und die Frontlinie Richtung Charkiw zu verstärken.
10. September 2022
Ukrainische Streitkräfte sind in den letzten fünf Tagen an einigen Stellen bis zu einer Tiefe von 70 Kilometern in die russischen Linien eingedrungen und haben über 3.000 Quadratkilometer Territorium erobert - mehr Territorium, als die russischen Streitkräfte bei all ihren Operationen seit April erobert haben, berichtet das Institute for the Study of the War (ISW) in seiner Lageanalyse.
Berichten zufolge haben ukrainische Truppen die Siedlung Velikiy Burluk im Osten der Ukraine eingenommen. Damit sind sie bis auf 15 Kilometer an die Grenze zu Russland vorgerückt.
Die Ukraine hat außerdem nach eigenen Angaben die strategisch wichtige Stadt Kupjansk von der russischen Armee zurückerobert - der Eisenbahnknoten mit Anschluss an das russische Bahnnetz diente zur Versorgung der Truppen. Der neue ukrainische Vorstoß könnte Russlands Möglichkeiten erheblich einschränken, seine Stellungen an der ukrainischen Ostfront mit Nachschub und logistischer Unterstützung zu versorgen. Dabei ist Russland seit je her auf seine Bahnlinien angewiesen.
Das russische Verteidigungsministerium kündigte den Abzug seiner Truppen aus dem Gebiet an. Der Rückzug wurde als "Umgruppierung" von Streitkräften dargestellt: Soldaten würden aus dem Gebiet abgezogen, um weiter südlich die Truppen in der Region Donezk zu verstärken.
11. September 2022
Auch am 200. Tag des russischen Angriffskriegs dauern die Kämpfe im Umkreis der strategisch wichtigen Städte Kupjansk und Isjum an. Nach dem Teilrückzug der eigenen Truppen hat Russland ukrainischen Angaben zufolge die kritische Infrastruktur des Nachbarlandes beschossen. In mehreren Regionen waren Orte ohne Strom.
Die ukrainischen Streitkräfte setzen die Gegenoffensive nach eigenen Angaben weiter fort.
Unter dem Eindruck der Verluste werden in Moskau auch Stimmen nach Gesprächen mit der Ukraine laut. Russland lehne Verhandlungen nicht ab, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Ex-Präsident und jetziger Vize-Chef des Nationalen Sicherheitsrats Dmitri Medwedew forderte hingegen am Montag die bedingungslose Kapitulation der Ukraine.
Zugleich fordert die Ukraine vom Westen weiter Panzer und Waffen, um den Druck auf die russischen Truppen hochzuhalten. Außenminister Dmytro Kuleba unterstrich nach einem Treffen mit Amtskollegin Annalena Baerbock (Grüne) in Kiew, dass deutsche Leopard-2-Panzer dringend benötigt werden.
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- Aktuelles zum Krieg in der Ukraine
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.