"Die Welt wird das als Genozid anerkennen", sagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj über die Gräueltaten von Butscha. Doch wie ist Genozid definiert?
Erschossen mit gefesselten Händen, Kinder, Frauen, Männer, die eben noch Lebensmittel nach Hause trugen. "Es ist wie in einem Horrorfilm", sagt Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. Und er bezeichnet die Gräueltaten in Butscha als Genozid. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj tut das.
Doch was macht Morde und Kriegsverbrechen zu einem Genozid? Wie wird ein Genozid bestraft? Und können die Gräueltaten von Butscha als Genozid eingestuft werden? Fragen und Antworten im Überblick.
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Was ist ein Genozid?
Juristisch werden unter Genozid – oder auch Völkermord – bestimmte Handlungen verstanden, die darauf abzielen, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören. Das heißt konkret, dass es auch dann ein Genozid sein kann, wenn gar nicht gemordet wird.
So kann zum Beispiel die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung in einer Gruppe ein Genozid sein, wenn damit die Gruppe vernichtet werden soll. Und auch das Töten von ein, zwei oder drei Menschen mit der Absicht eine ganze Gruppe zu zerstören, kann ausreichen, damit die Taten als Genozid gewertet werden.
Während der Regierungsbefragung im Bundestag verurteilt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Tötung von Zivilisten im ukrainischen Butscha als "Kriegsverbrechen".
Wie wird ein Genozid bestraft?
- In Deutschland kann ein Genozid vor Oberlandesgerichten angeklagt werden, denn Völkermord steht im Strafgesetzbuch ausdrücklich unter Strafe. Die Bundesanwaltschaft führt in diesen Fällen die Ermittlungen. Wer in Deutschland für Völkermord verurteilt wird, dem droht eine lebenslange Freiheitsstrafe.
- Auf internationaler Ebene existiert eine UN-Genozid-Konvention. Diese wurde von vielen Staaten, unter anderem auch von Russland, unterzeichnet. Die Unterzeichnerstaaten erkennen damit den Völkermord – sowohl im Frieden als auch im Krieg – als Verbrechen an und verpflichten sich zu dessen Verhütung und Bestrafung. Völkermord wird durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag bestraft. Dort wird Einzelpersonen der Prozess gemacht, denen eine völkerrechtliche Straftat – wie der Genozid – vorgeworfen wird.
- Und auch der Internationale Gerichtshof kann involviert sein, wenn es um Genozid geht. Hier klagt dann ein Staat gegen einen anderen Staat, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen nicht eingehalten werden.
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Können die Gräueltaten von Butscha als Genozid eingestuft werden?
Damit die Morde und Verbrechen in Butscha als Genozid eingestuft werden können, müsste das russische Vorgehen darauf abzielen, die ukrainische Bevölkerung, die viele Russen als Brudervolk ansehen, zu vernichten. Davon gehen viele Beobachter allerdings nicht aus. Und selbst wenn, wäre die Absicht die Ukrainer als Volk zu zerstören, nur schwer zu beweisen, meint auch Völkerrechtler Kai Ambos:
"Man müsste der russischen Führung nachweisen, dass sie in der Absicht bestimmte Taten begeht, um die Gruppe der Ukrainer zu vernichten. Man kann sie wohl als nationale Gruppe im Sinne des Genozid verstehen, aber die Zerstörungsabsicht ist gleichwohl kaum nachzuweisen. Politiker wie Selenskyj oder Klitschko benutzen den Begriff häufig auch eher um das besondere Unrecht bestimmter Taten auszudrücken."
Wann kann von Völkermord gesprochen werden?
Auf ein differenzierte Verständnis von dem Begriff "Völkermord" verweist auch Florian Jeßberger, Strafrechtler an der Humboldt-Universität in Berlin: "Ich glaube, dass es zunächst wichtig ist zu unterscheiden zwischen dem politischen Begriff des Völkermordes, der in der politischen Auseinandersetzung verwendet wird und dem juristischen Begriff des Völkermordes, der ganz anders konstruiert ist."
Der politische Begriff verweise vor allem auf massenhafte Tötungen und auf eine große Zahl von Opfern. Der juristische Begriff beinhalte dagegen, dass "der Täter des Völkermordes gerade darauf abzielt, eine bestimmte geschützte Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören." Diese Zerstörungsabsicht müsse nachweisbar sein, "wenn man im juristischen Sinne einen Völkermord anklagen und aburteilen möchte."
Auch Jeßberger stellt die russische Absicht, die Ukrainer als Volk zerstören zu wollen, infrage:
Das Morden in Butscha: Kriegsverbrechen sehr wahrscheinlich ja – doch ein Genozid sehr wahrscheinlich nicht.
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