Georgien blickt genau auf die Ukraine-Entwicklungen: Das Land war 2008 selbst im Krieg mit Russland. Was Georgien nun befürchtet und warum das Verhältnis zu Moskau zwiespältig ist.
Vor allem in Georgien gibt es berechtigte Sorgen - die Erinnerungen an den Krieg gegen Russland im Jahr 2008 sind in der Ex-Sowjetrepublik noch immer präsent. Welche Sorgen hat Georgien? Wie ist die Beziehung zu Russland? Und droht dem Land ein ähnliches Schicksal wie nun der Ukraine?
Warum kam es 2008 zum Krieg zwischen Russland und Georgien?
Der Krieg in der Ukraine lässt sich mit dem in Georgien auch deshalb gut vergleichen, weil der Grund für beide Konflikte ein ähnlicher war: Russlands Furcht vor einer zu starken Westbindung beider Länder.
In den 2000ern näherte Georgien sich EU und NATO an. Das Ziel, Mitglied der EU zu werden, ist in der georgischen Verfassung festgeschrieben - ähnliche wie in der Ukraine. "Russland hat sich damals um separatistische Bewegungen innerhalb Georgiens bemüht, um Georgien die Territorien Abchasien und Südossetien zu entreißen und damit in einen permanenten territorialen Konflikt zu bringen, der eine Aufnahme in die NATO unmöglich macht", erklärt der österreichische Russland-Experte Gerhard Mangott.
Der Krieg im Jahr 2008 dauerte kurz, Georgien unterlag und am Ende erkannte Russland die Regionen Südossetien und Abchasien als unabhängig an.
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Wie war Georgiens Position zu Russland in den vergangenen Jahren?
Seit Kriegsende bemüht sich das Land im Umgang mit Russland um einen sogenannten "Modus Vivendi" - beide Länder haben eine stille Übereinkunft, wobei sich Georgien seiner schwächeren Position bewusst ist.
"Das Land hat keine einflussreichen Verbündeten in der Region, auf die es zählen kann; und es leidet unter Korruption und Vetternwirtschaft. Auch militärisch hat Georgien keinerlei Möglichkeiten, sich gegen eine zukünftige russische Aggression zu verteidigen", erklärt Kaukasus-Experte Christian Osthold.
Wie reagiert Georgien auf den Krieg in der Ukraine?
Georgien beantragte als Reaktion auf den Krieg nicht nur die Aufnahme in die EU, sondern zeigt sich solidarisch mit der Ukraine und Präsident Wolodymyr Selenskyj. In der Hauptstadt Tiflis gab es große Pro-Ukraine-Demos. Georgiens Premierminister Irakli Gharibaschwili will die Ukraine zwar humanitär und politisch unterstützen, Sanktionen gegen Russland lehnt er aber ab.
"Der georgischen Bevölkerung ist es bewusst, dass Georgien selbst keine Sanktionen durchführen könnte und dass die Bedrohung durch Russland virulent ist, doch das öffentliche und explizite Ausschließen von Sanktionen bzw. deren Bezeichnung als ineffektiv wurde von vielen Demonstranten als unmoralisch angesehen", sagt Stéphane Voell vom Zentrum für Konfliktforschung in Marburg.
Georgien bemüht sich also um einen schwierigen Balanceakt: Einerseits will es Solidarität mit der Ukraine und seine Ambitionen Richtung Westen signalisieren - andererseits will das Land Russland nicht zu sehr gegen sich aufbringen.
Welche Folgen könnte der Krieg in der Ukraine für Georgien haben?
Georgien lebt schon lange mit der russischen Bedrohung. Die Warnung, die der Kreml durch den Einmarsch in die Ukraine aussendet, ist auch in dem südkaukasischen Land angekommen.
"Es wird nicht offen darüber diskutiert, wie groß die Gefahr eines erneuten Krieges ist", erklärt Voell mit Blick auf die Menschen im Land. Aber dass Georgiens Zukunft auch mit dem Kriegsausgang in der Ukraine zusammenhängt, ist offensichtlich. "Sollte es Wladimir Putin gelingen, die Ukraine gewaltsam zu unterwerfen und eine Marionettenregierung zu etablieren, ist praktisch sicher, dass ein solcher 'Violent Regime Change' auch in Georgien durchgeführt werden wird“, erklärt Christian Osthold.
Dabei könnte Abchasien und Südossetien eine ähnliche Rolle zukommen wie dem Donbass in der Ukraine. Auf dieser Grundlage könnte Moskau jederzeit einen Kriegsgrund erfinden, um abermals in Georgien zu intervenieren, warnt Osthold.
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Wie realistisch ist die Aufnahme in die EU?
Die georgische Regierung weiß, dass sie die formellen Voraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft nicht erfüllt. "Dass sie dennoch per Notfallprüfung einen Aufnahmeantrag an die EU gestellt hat, ist demnach vor allem ein politischer Hilferuf", sagt Christian Osthold.
Bei dem Antrag handelt es gleichzeitig um seine symbolische Geste, die Georgiens Wunsch nach politischer und kultureller Zugehörigkeit zum "Westen" formuliert. "Ich glaube, dass die Menschen in Georgien sehr gut einschätzen können, dass ein Beitritt - wenn überhaupt - in vielen Jahre erst möglich wäre“, meint Stéphane Voell.
Wie unwahrscheinlich ein Beitritt in die EU auf absehbare Zeit ist, zeigte sich kurz nach dem Aufnahmeantrag: Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg erteilte Georgien sowie Moldau direkt eine Absage - vorerst.
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