Flucht vor Mobilmachung:Russen in Georgien: Tolerierte Flüchtlinge
von Thomas Dudek
02.10.2022 | 21:50
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Um der Mobilmachung in Russland zu entgehen, flüchten viele Russen ausgerechnet nach Georgien. Ein Land, das durch den Krieg zu einem Zentrum der russischen Migration wurde.
Viele Russen flüchten über die Grenze nach Georgien, um der Mobilmachung in ihrem Land zu entgehen.
Quelle: AP
"Die Wahrheit ist mit uns. Russland ist mit uns", sagte Wladimir Putin zum Abschluss seiner Rede, die er am Freitag vor der Unterzeichnung des Abkommens der Annexion der vier ukrainischen Gebiete hielt. Doch ob tatsächlich ganz Russland hinter Putin steht, darf seit der Verkündung der Teilmobilmachung am 21. September jedoch bezweifelt werden. Rund 250.000 Menschen haben aus Angst vor einer Einberufung das Land bisher verlassen.
Eines der Hauptziele dieser Fluchtbewegung ist ausgerechnet Georgien geworden. Jenes Land im Kaukasus, in das Russland 2008 selbst einmarschiert ist und zudem seit 30 Jahren als Schutzmacht der von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ist. Um die 60.000 russische Staatsbürger sind seit der Verkündung der Teilmobilmachung in das Land eingereist. Zuletzt waren es gar 10.000 täglich.
Georgien wird zum Zentrum russischer Opposition
Es ist jedoch nicht die erste Migrationswelle, die Georgien seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine erlebt. Bereits in den ersten Monaten des Krieges kamen allein bis zum Juli über 30.000 russische Staatsbürger nach Georgien. Diese fürchteten schon damals nicht eine Mobilmachung oder eine Schließung der Grenzen.
Einige der russischen Migranten entgingen so auch einer Strafverfolgung in ihrer Heimat, die ihnen wegen ihrer oppositionellen Tätigkeit oder kritischer Äußerungen zu dem Krieg drohte. Was dazu führte, dass Georgien in den letzten Monaten zu einem der Zentren der russischen Opposition wurde. So hat in dem Land auch der bekannte populäre Oppositionssender TV Rain seine neue Heimat gefunden.
Große Skepsis gegenüber Russland
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Georgier den russischen Überfall auf die Ukraine neutral oder gar mit Sympathien für Russland betrachten. "Die Solidarität mit der Ukraine steht hier an erster Stelle", erzählt der deutsch-russische Journalist Maxim Kireev ZDFheute. "Man liest halt immer wieder auf Häuserwänden Graffiti mit Inhalten wie 'kauft keine russischen Produkte', 'nicht alle Russen sind willkommen' oder einfach die aus der Ukraine bekannte Beleidigung 'Putin Chuilo'", so der derzeit selbst in Georgien weilende Journalist weiter.
Und auch bezüglich der eigenen Erfahrungen, stehen die Georgier dem großen Nachbarn im Norden skeptisch gegenüber. Laut einer im April dieses Jahres durchgeführten Umfrage betrachten 90 Prozent der Georgier Russland als die größte politische Gefahr für ihr Land.
Kritische Haltung sichtbar
Auch wirtschaftlich betrachten Russland 83 Prozent der Georgier als eine Bedrohung. Eine andere Umfrage wiederum ergab, dass aufgrund der gestiegenen Einreise russischer Staatsbürger in das Land, sich 66 Prozent der Georgier für die Einführung einer Visapflicht aussprechen. Diese fehlt bisher und ist einer der Hauptgründe, weshalb Georgien zu einem Reiseziel der Russen wurde.
Ihre kritische Haltung zeigte zum Beispiel auch die Bank of Georgia, die in den ersten Wochen des Krieges von russischen Kunden, die bei ihr ein Konto eröffnen wollten, eine unterschriebene Erklärung verlangte, in welcher sie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und Putin verurteilten.
Russen werden nicht "als hilfsbedürftige Flüchtlinge behandelt"
"Die meisten Georgier verstehen schon, warum die Leute hier sind. Wer kommen kann und will, soll kommen, aber als hilfsbedürftige Flüchtlinge werden diese Leute hier nicht behandelt", fasst der Journalist seine Eindrücke zusammen.
Das wirkt für viele russische Neuankömmlinge durchaus schockierend.
Journalist Maxim Kireev
"Zudem betrachten viele Russen Georgien nur als eine Zwischenstation", so Kireev. Die große Frage ist nur, wie lange Moskau diese Fluchtbewegung noch tolerieren wird. Die Grenzen wurden zwar noch nicht geschlossen, aber zumindest die Ausreisebedingungen für Reservisten hat der Kreml erschwert.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.