Die Geschichte des jungen Staates Belarus ist geprägt durch ein Hin und Her zwischen Litauen, Polen und Russland. Von der Kiewer Rus bis Lukaschenko - ein Überblick in fünf Fragen.
Woher stammt die enge Bindung zwischen Belarus und Russland?
Wie die Ukraine und Russland hat auch Belarus seine Wurzeln in der mittelalterlichen Kiewer Rus, dem ersten ostslawischen Reich. Auch deshalb betrachtet Russland das Land als eine Art "Brudervolk". Etwa im 10. Jahrhundert wurde das belarusische Fürstentum Polazk im Norden des Landes Teil des Kiewer Reichs.
Der Name Belarus - übersetzt Weiße Rus - geht darauf zurück. Dem Slawisten und Sprecher der Belarusisch-Deutschen Geschichtskommission Thomas Bohn zufolge bezieht sich die Bezeichnung wahrscheinlich auf "die Konnotation des Westens mit der Farbe Weiß".
- Warum Weißrussland plötzlich Belarus heißt
Noch bei den Olympischen Spielen sprachen alle von "Weißrussland", nun wird das Land in der Öffentlichkeit fast nur noch "Belarus" genannt. Welche Bezeichnung ist denn nun besser?
Nach dem Niedergang der Kiewer Rus wurden die belarusischen Gebiete im 13. und 14. Jahrhundert Teil des Großfürstentums Litauen - und im 16. Jahrhundert der von Polen dominierten Polnisch-Litauischen Union. Nach der Teilung Polens wurde das Gebiet des heutigen Belarus Ende des 18. Jahrhunderts dem russischen Imperium zugeschlagen. Katharina die Große betrachtete dies - mit Blick auf die Kiewer Rus - als eine Art Wiedervereinigung. Ihrer Ansicht nach wurde "Entrissenes" wieder zurückgeholt.
Seit wann gibt es historisch gesehen überhaupt einen belarusischen Staat?
Vor allem das Ende des Ersten Weltkriegs hatte erheblichen Einfluss auf das belarusische Staatengebilde. Als Zugeständnis an die Deutschen verzichtete der unter Druck stehende Wladimir Lenin beim Frieden von Brest-Litowsk auf Belarus. 1918 genoss das Volk damit eine kurze Zeit der Unabhängigkeit - auf die Anfang 1919 die Errichtung der belarusischen Sowjetrepublik folgte. Ein historisch bedeutender Schritt, wie Thomas Bohn erklärt:
Seit Alexander Lukaschenkos Wiederwahl gibt es in Belarus Proteste und auch Moskau schaltet sich ein. ZDF-Korrespondentin Phoebe Gaa mit einer Einschätzung der Lage.
Wie entwickelte sich die Identität in Belarus nach dem Zweiten Weltkrieg?
Während des Kriegs ab 1939 geriet Belarus zwischen die Fronten Hitlers und Stalins. Wehrmacht und SS waren für die Ermordung etwa eines Viertels der belarusischen Bevölkerung verantwortlich - darunter etwa 800.000 Juden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das heutige belarusische Staatsgebiet wieder Teil der Sowjetunion und wurde schnell zur sowjetischen Musterrepublik, wie Thomas Bohn erklärt:
"Die belarusische Sowjetrepublik vollzog nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer rasanten Industrialisierung und Urbanisierung einen Prozess der nachholenden Modernisierung. Der Preis des Fortschritts war die Russifizierung der Sprache. In der wirtschaftlich erfolgreichen Musterrepublik blieb die nationale Identität eine Sache von Intellektuellen."
Wie kam Alexander Lukaschenko an die Macht?
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Belarus 1991 ein unabhängiger Staat. Erster Präsident wurde Stanislau Schuschkewitsch. 1994 verlor er aber die erste Präsidentenwahl des Landes überraschend deutlich gegen den Parlamentarier Alexander Lukaschenko. Der 39-Jährige galt als Alternative zu den alteingesessenen Politikern und hatte sich einen Namen als Kämpfer gegen die Korruption im Land gemacht. Experten sagen, das sei die einzige freie Wahl, die Lukaschenko jemals gewonnen hat.
Eines von Lukaschenkos Hauptanliegen war die Vereinigung von Russland, Weißrussland und der Ukraine, doch weder die Ukraine noch der spätere russische Präsident Wladimir Putin hatten daran großes Interesse. Von der Idee geblieben ist ein enges militärisches und wirtschaftliches Bündnis zwischen Russland und Belarus. Russland subventioniert Belarus mit billigem Öl und Gas, Belarus verdient als Zwischenhändler im Gegenzug am EU-Lebensmittelembargo Russlands.
Seit 1994 ist Alexander Lukaschenko Staatschef von Belarus. Nun wurde er erneut zum Präsidenten gewählt. Doch die Rechtmäßigkeit der Wahl wird von vielen angezweifelt.
Wann wurde Lukaschenko zum Diktator?
Bereits einen Monat nach seiner Wahl 1994 sicherte sich Lukaschenko die Konrolle über das staatliche Fernsehen, 1996 löste er durch ein Referendum Parlament und Verfassungsgericht auf und verlieh sich das Recht, selbst Gesetze zu erlassen. Oppositionelle Stimmen werden seither konsequent unterdrückt. Belarus ist bis heute das letzte Land Europas, in dem noch immer Todesstrafen vollzogen werden.
Experte Bohn sagt: "Alexander Lukaschenko hat die Chance als ,letzter Diktator der Belarus‘ in die Geschichte einzugehen." Das belarusische Volk setzt aktuell alles daran, dass seine Ablösung früher als später erfolgt.