Urteil: Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen geht zu weit

    Bundesverfassungsgericht urteilt:Warum das Kinderehe-Gesetz zu weit geht

    von Gianna Pagliaro
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    Seit 2017 gilt in Deutschland eine im Ausland geschlossene Ehe mit Kindern unter 16 Jahren als unwirksam. Das Bundesverfassungsgericht fordert, die Gesetzeslage nachzubessern.

    Eine Ehe ist nach deutschem Recht pauschal unwirksam, wenn sie im Ausland mit einem Minderjährigen unter 16 Jahren geschlossen wurde. Das gilt unabhängig davon, ob die Eheleute mittlerweile volljährig sind. Bis heute bestanden zwischen den betroffenen Paaren auch keine Unterhaltsansprüche. Genau das ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, so das Bundesverfassungsgericht heute.

    Ausgangsverfahren: Fall aus Aschaffenburg

    Anlass für die Entscheidung war ein Fall aus Aschaffenburg, der dem Bundesgerichtshof (BGH) zur Entscheidung vorliegt. Es ging um ein syrisches Paar, das 2015 im Alter von 21 und 14 Jahren in Syrien geheiratet hatte. Als die Betroffenen im selben Jahr nach Deutschland flohen, wurde das Mädchen vom Jugendamt in Obhut genommen und zu ihrem Vormund bestellt. Das Amt und ihr Mann streiten seither, unter welchen Umständen die beiden Zeit miteinander verbringen dürfen.

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    FAQ
    Das Oberlandesgericht Bamberg hatte sich 2016 als Vorinstanz mit dem Fall des syrischen Paares befasst und dem Mann ein Umgangsrecht mit seiner minderjährigen Frau zugesprochen. Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung gab es das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderehe von 2017 noch nicht.

    Bundesgerichtshof zweifelte an Rechtmäßigkeit des Gesetzes

    Das Jugendamt zog vor den BGH. Der Bundesgerichtshof hätte das zwischenzeitlich in Kraft getretene Gesetz anwenden müssen, schätzte es jedoch als verfassungswidrig ein.
    Der Senat setzte das Verfahren deshalb aus und wandte sich an die Verfassungsrichter. Sie sollten prüfen, ob die Regel, die eine solche Ehe ohne Einzelfallprüfung für ungültig erklärt, mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

    Bundesverfassungsgericht verlangt nun Nachbesserung

    Das Bundesverfassungsgericht entschied heute, dass der Gesetzgeber die Wirksamkeit der Ehe von einem Mindestalter abhängig machen kann. Das erlaube ihm der Minderjährigenschutz und die Orientierung am Kindeswohl. Der damit verbundene Eingriff in die Ehefreiheit des Grundgesetzes sei jedoch unverhältnismäßig.
    Aktuell fehlten nämlich Folgeregelungen, etwa zu Unterhaltsansprüchen. Auch fehle die Möglichkeit, dass eine solche Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit der Partner auch in Deutschland gültig wird. Deswegen müsse das Gesetz insoweit nachgebessert werden.

    Kritik am Gesetz aus 2017

    Die Gesetzesentwicklung aus dem Jahr 2017 hatte über die Jahre hinweg für Diskussionen gesorgt. Denn mit der pauschalen Ungültigerklärung dieser Ehen werden in der Konsequenz auch die Eherechte aberkannt. Der Gesetzgeber hatte zum Beispiel nicht geregelt, was mit den Kindern aus solchen Ehen passieren soll, wenn die eheliche Vaterschaftsvermutung nicht greift.
    Auch sieht die Regelung keine Unterhaltsrechte vor, schließlich wird die Ehe behandelt, als hätte es sie nie gegeben. Dem hat das Bundesverfassungsgericht heute einen Riegel vorgeschoben.

    Gesetz bleibt in Kraft

    Der Gesetzgeber hat nun bis Ende Juni 2024 Zeit, das Gesetz nachzubessern. Bis dahin bleibt es mit der Maßgabe in Kraft, dass nach einer Übergangsregelung über die Unterhaltsansprüche zwischen den Partnern entschieden werden muss.
    Nach der heutigen Entscheidung ist klar: Der Gesetzgeber darf im Ausland geschlossene Kinderehen auch pauschal und automatisch für unwirksam erklären. Ein wichtiger Schritt zum Schutz von Minderjährigen. Die Gesetzeslage muss allerdings auch die Folgen für die Paare im Blick haben, die von der Regelung betroffen sind.
    Gianna Pagliaro ist Rechtsreferendarin in der Redaktion Recht und Justiz.

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