Im Westen ehren Politiker und Medien Michail Gorbatschow in ihren Nachrufen. Weiter östlich fallen die Reaktionen auf den Tod des Politikers kritischer aus.
Viele deutsche und westliche Politiker sparen bei ihren Würdigungen für den am Dienstag verstorbenen Michail Gorbatschow nicht mit Superlativen. Bundeskanzler Olaf Scholz würdigte den ehemaligen sowjetischen Staatschef als "mutigen Reformer" und "weitsichtigen Politiker und Staatsmann". Und der französische Präsident Emmanuel Macron würdigte den ehemaligen Sowjetpolitiker als einen "Mann des Friedens", der "den Russen den Weg in die Freiheit geöffnet habe".
Gorbatschow: Im Osten weniger verehrt
All diese Würdigungen haben jedoch eines gemeinsam: Sie sind geprägt von dem deutschen und westlichen Blick auf einen sowjetischen Politiker, der die Welt verändert hat. Ohne Michail Gorbatschow wäre weder der Fall des Eisernen Vorhangs möglich gewesen, noch die deutsche Einheit. Doch es ist ein westlicher Blick, dem in Osteuropa widersprochen wird.
Wie heftig dieser Widerspruch ausfallen kann, zeigt besonders deutlich der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis.
"Wir werden es nicht vergessen, dass seine Armee Zivilisten ermordete, um die Besatzung unseres Landes durch sein Regime zu verlängern. Seine Soldaten schossen auf unsere unbewaffneten Demonstranten und zermalmten sie unter seinen Panzern. So werden wir ihn in Erinnerung behalten", schrieb der Politiker und Enkel von Vytaustas Landsbergis, dem ersten Staatsoberhaupt Litauens nach der Unabhängigkeitserklärung 1990, auf Twitter.
Damit spielt Landsbergis auf den sogenannten "Blutsonntag" vom 13. Januar 1991 in Vilnius an, als sowjetische Truppen auf Befehl Gorbatschows die Unabhängigkeit der baltischen Republik aufhalten sollten. 14 unbewaffnete Demonstranten sind damals in der litauischen Hauptstadt ums Leben gekommen.
Kritik auch aus Polen
Es ist eine Tragödie, die im Westen kaum bekannt ist, in Osteuropa jedoch das Gorbatschow-Bild und somit auch die letzten Jahre der Sowjetunion geprägt hat. Das zeigt sich auch in den Reaktionen auf den Tod von Gorbatschow in Polen. "Ideell war er wie ein Kollege der Anführer des Prager Frühlings, die vom Sozialismus mit menschlichem Antlitz sprachen. Er kam aber fast 20 Jahre später an die Macht, als kaum noch jemand an die Ideale des Kommunismus glaubte“, heißt es zwar zunächst versöhnlich im Nachruf der einflussreichen Tageszeitung "Rzeczpospolita".
Danach wird aber nicht nur an den "Blutsonntag" von Vilnius erinnert, sondern auch an die brutale Niederschlagung der Unabhängigkeitsbewegungen in anderen Sowjetrepubliken. "Sehend, dass seine Reformen zu ungewollten Ergebnissen führen, hat er nicht gezögert, Militärgewalt einzusetzen. Auch wenn nur innerhalb der sowjetischen Grenzen."
Keine Nachrufe aus der Ukraine
Nicht vergessen hat die konservative, aber nicht PiS-nahe Tageszeitung auch Gorbatschows Reaktion auf die russische Annexion der Krim, die der eines "Friedensnobelpreisträgers unwürdig" war. Unterstrichen wird dieser andere Blick auf Gorbatschow auch durch die Reaktion polnischer Regierungspolitiker. Diese haben dessen Tod nicht kommentiert.
Wir haben mit dem regimekritischen russischen Schriftsteller Viktor Jerofejew über Michail Gorbatschow gesprochen, mit dem er freundschaftlich vebunden war.
Relativ gleichgültig reagierte man in der Ukraine auf den Tod von Michail Gorbatschow. Sowohl von Politikern als auch in vielen Medien gibt es keine Nachrufe. Was nicht nur mit Gorbatschows Haltung zu der Annexion der Krim zu erklären ist, für die er Verständnis zeigte. Nicht vergessen hat man in dem Land auch Gorbatschows Vertuschungspolitik nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986.
Und auch in seiner Heimat Russland fallen die Reaktionen auf Gorbatschows Tod zwiegespalten aus. Während Präsident Wladimir Putin Gorbatschow als einen Staatsmann bezeichnete, der es "zutiefst verstand, dass Reformen notwendig waren", erklärte Sergej Naryschkin, Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, dass nun "Gott sein Richter sei".
Noch unterschiedlicher sind die Reaktionen innerhalb der Opposition. "Gorbatschow gab uns die Freiheit", sagte Grigorij Jawlonskij, Chef der Oppositionspartei Jabloko. Eine Meinung, mit welcher der bekannte und im Exil lebende Journalist Oleg Kaschin wenig anfangen kann. Seinen Nachruf nannte er "Gorbatschow-Diktator".