Den Finanzminister geschasst. Die eigene politische Vision dabei mit abgewickelt. Nach nur 38 Tagen als britische Premierministerin kämpft Liz Truss ums politische Überleben.
Nach massiver Kritik hat Premierministerin Truss Finanzminister Kwarteng entlassen. Beide waren wegen ihrer gemeinsam erarbeiteten Steuerpläne unter Druck geraten.
Gelacht haben sie auf der Insel, jahrzehntelang - über die politischen Verhältnisse in Italien. Nun vergeht kein Tag, ohne dass ein prominentes Parteimitglied sich dazu äußert, dass das stolze Vereinigte Königreich zur Bananenrepublik geworden sei.
Ehemalige Finanzminister der Konservativen fragen sich, wie um alles in der Welt ihr Land zur internationalen Lachnummer hat werden können. Willkommen zu Tag 38 der Regierung von Liz Truss!
Steuern senken trotz Rekordverschuldung
Der Anfang vom Ende kam Ende September mit dem sogenannten Mini-Haushaltsplan. Dieser Plan entwickelt maximale Zerstörungskraft. Es ist die wirtschaftspolitische Zerstörungskraft von Finanzminister Kwasi Kwarteng und seiner Chefin, Premierministerin Truss.
Der Kern des Vorhabens: Steuern senken! Trotz Rekordverschuldung. Steuern senken! Trotz eines Energiepreispakets, das umgerechnet rund 100 Milliarden Euro kostet, um Haushalte und Unternehmen zu entlasten. Finanzieren werde sich das über das Wirtschaftswachstum und die daraus entstehenden höheren Steuereinnahmen, versichert die Regierung.
Nach nur sechs Wochen Amt hat die britische Regierungschefin Liz Truss ihren Finanzminister Kwarteng entlassen. ZDF-Reporter Andreas Stamm berichtet aus London.
Die Wirtschaftskrise ist hausgemacht
Doch dieses Versprechen überzeugt die Finanzmärkte null. Ein rund 60 Milliarden-Loch würden die Maßnahmen im Haushalt erzeugen. Eine naive Wirtschaftspolitik sei das, so das Urteil.
Die wirtschaftlichen Konsequenzen: Das Pfund stürzte ab. Die Zinsen für britische Staatsanleihen stiegen im internationalen Vergleich übermäßig, was die geplante Aufnahme neuer Schulden weiter verteuerte. Und das schlagartig. Die Immobilienkreditzinsen explodierten, was Hunderttausend britische Hauseigentümer bangen lässt, ob sie ihren Kredit noch werden bedienen können. Ihnen droht Obdachlosigkeit.
Die englische Notenbank musste Rentenfonds mit einer Notintervention vor dem Kollaps retten. Nur dieser außergewöhnliche Eingriff bewahrte das Ersparte, das Ruhestandsgeld vieler Briten. Das Vertrauen in Großbritannien als stabiler Hort wirtschaftlicher Vernunft liegt seitdem in Trümmern.
Gerade erst angetreten, muss Premierministerin Liz Truss fast schon wieder um ihr Amt fürchten. Hintergrund sind Steuersenkungspläne, die inzwischen schon wieder vom Tisch sind.
Truss' Beliebtheitswerte stürzten ab
Die politischen Konsequenzen: Nur Tage nach dem Start war das politische Kapital der Regierung und der Premierministerin aufgebraucht. Statt Flitterwochen mit dem Wähler kam ein Absturz in den Umfragen - sowohl für die Konservativen wie auch für Truss selbst. Sie ist inzwischen unbeliebter als jeder Vorgänger seit es Umfragen gibt.
Seit Tagen stellen sich deshalb weite Teile der Tory-Partei die Frage, wie man Truss loswerden kann. Noch geschieht das meist hinter verschlossenen Türen. Von den rund 360 Tory-Abgeordneten drohen mehr als zwei Drittel ihr Mandat zu verlieren, sollte es so weiter gehen. Es sind noch zwei Jahre, bis gewählt werden muss, aber niemand glaubt, dass die Partei mit Liz Truss aus diesem Tief je wieder rauskommen wird.
Also doch der Sturz nach wenigen Wochen? "Lieber lächerlich machen, sie absägen", so das anonyme Zitat eines Abgeordneten, "als mit Truss voll an die Wand fahren". Es wäre der fünfte Premier in sechs Jahren.
Welche Optionen haben die Konservativen?
Hort der politischen Stabilität, ein Markenkern der Tories, auch der ist schwer beschädigt. Problem ist nur, dass die momentan einzige Möglichkeit, Truss loszuwerden, ein Misstrauensvotum im Parlament wäre. Das würde aber Neuwahlen bedeuten. Da beißt sich die konservative Katze in den Schwanz - das will kaum jemand riskieren.
Chaos in London: Die britische Premierministerin Liz Truss hat ihren Finanzminister Kwarteng entlassen. ZDF-Reporter Frank Bethmann berichtet über die Reaktionen an der Börse.
Oder man muss die Regel ändern, dass neu gekürte Parteivorsitzende durch die Fraktion ein Jahr lang nicht abgewählt werden können. Was viele als eine peinliche Lösung ansehen, aber besser als gar keine. Mit dem Rauswurf ihres Finanzministers Kwarteng, eines engen politischen Freunds, hat sich Liz Truss für den Moment Luft verschafft. Aber es ist auch ihre Vision, die da gerade vor ihren Augen zerpflückt wird.
Großreform ist vorerst vertagt
Der Großteil der geplanten Steuersenkungen soll nun doch nicht umgesetzt werden. Das könnte helfen, die Märkte zu beruhigen und einen Prozess zu ermöglichen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Aber ob das reicht, die eigene Partei, die Wähler zu beruhigen, ist zweifelhaft.
Der neue Finanzminister ist Jeremy Hunt, ein alter Bekannter und politischer Widersacher von Truss. Es ist ein klassischer Schachzug, verfeindete Fraktionen in den eigenen Reihen wieder miteinzubinden. Als Premierministerin, erklärte Truss am Freitag in einer sehr kurzen Pressekonferenz, habe das nationale Interesse immer Vorrang.
Nach 38 Tagen Truss-Regierung glauben das nur noch ihre größten Fans. Vermutlich gibt es davon inzwischen zu wenige. Der nächste politische Kopf, der rollt, könnte bald der von Liz Truss sein.
- Liz Truss und die Lust am Untergang
Liz Truss hält ihre erste Parteitagsrede als Premierministerin beim Treffen der Tories. Doch die Stimmung dort ist schlecht.