Der britische Premier Johnson steht - laut Berichten - offenbar vor dem Rücktritt. Unklar ist, ob er Premier bleibt, bis die Tories einen neuen Chef wählen, der ihn dann ablöst.
Der britische Premierminister Boris Johnson will offenbar noch heute zurücktreten - zumindest als Parteichef der Tories. Das berichten britische Medien.
Unklar war, ob Johnson an der Regierungsspitze bleibt, während seine Konservative Partei einen neuen Vorsitzenden wählt, der ihn als Regierungschef ablöst. Es hieß, Johnson wolle bis zum nächsten Tory-Parteitag Premier bleiben - also bis Herbst. Es soll heute eine Erklärung geben.
Immer mehr an Rückhalt verloren
Zuvor hatte der Premier, trotz der immer lauter werdenden Rücktrittsforderungen aus seinem Kabinett und seiner Partei, nichts von einem Rücktritt wissen wollen. Sollte er gehen, werde es "Chaos" geben, zitierte ihn die Nachrichtenagentur PA unter Berufung auf einen Vertrauten des Regierungschefs.
Nun hat auch schon der neue Finanzminister Nadhim Zahawi den Premier zum Rücktritt aufgefordert - nicht einmal 48 Stunden nach seiner Ernennung durch den Regierungschef. "Sie müssen das Richtige tun und jetzt gehen", schreibt Zahawi auf Twitter.
Rücktritts-Serie geht weiter
In der Downing Street 10 ging die Serie von Rücktritten unterdessen weiter:
Der britische Staatsminister für Sicherheit, Damian Hinds, erklärte seinen Rücktritt und forderte diesen Schritt auch von Premierminister Boris Johnson, um das Vertrauen in die Demokratie wiederherzustellen:
heißt es in dem Rücktrittsschreiben an Johnson. Zuvor am Morgen war der britische Nordirland-Minister Brandon Lewis zurückgetreten. Er habe dies Premierminister Boris Johnson mitgeteilt, schreibt Lewis auf Twitter.
Lewis begründet den Schritt so:
Generalstaatsanwältin wendet sich ab
Auch die Generalstaatsanwältin Suella Braverman wendet sich einem Medienbericht zufolge von Premierminister Boris Johnson ab. Johnson müsse zurücktreten, sagt Braverman dem Sender ITV. Sie selbst könne sich vorstellen, für das Amt zu kandidieren. Braverman galt bislang als Unterstützerin Johnsons.
Mit dem Staatssekretär für Wales, Simon Hart, hatte tags zuvor das dritte Kabinettsmitglied seit Wochenbeginn seinen Hut. Man habe den Punkt überschritten, an dem es noch möglich gewesen wäre, "das Ruder herumzureißen", erklärte Hart.
Johnson hatte erst im Juni ein parteiinternes Misstrauensvotum knapp überstanden. Nun steckt er aber bereits im nächsten Schlamassel. Diesmal geht es um wiederholte sexuelle Übergriffe eines von Johnson geförderten Funktionärs der Regierungsfraktion.
Pincher-Skandal einer zuviel
Chris Pincher ist inzwischen als Vize-Fraktionschef der Konservativen zurückgetreten. Johnson leugnete zunächst, von den Vorwürfen gewusst zu haben, räumte dann allgemeine Kenntnisse ein, um schließlich erklären zu lassen, er sei persönlich informiert worden, habe das aber wieder vergessen.
Er entschuldige sich für die Berufung Pinchers, im Rückblick sei es die falsche Entscheidung gewesen, erklärte Johnson.
Proteste gegen Schlingerkurs des Premiers
Aus Protest gegen Johnsons Amtsführung waren am Dienstagabend Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid zurückgetreten, rund 40 Staatssekretäre und Mitarbeiter legten ihre Ämter danach ebenfalls nieder.
Johnson ernannte Nadhim Zahawi zum neuen Finanz- und Steve Barclay zum Gesundheitsminister und schloss einen eigenen Rücktritt kategorisch aus.
Einige seiner engsten Vertrauten wollen ihn jedoch nicht mehr in der Downing Street sehen.
Johnson: "Für politische Zukunft kämpfen"
Wie die PA meldete, hatte ihn eine Delegation von Kabinettsmitgliedern in dem Amtssitz aufgesucht, um ihm einen "würdevollen Abgang" nahezulegen. Johnson habe seine Weigerung mit den "enorm wichtigen Problemen" begründet, "mit denen das Land konfrontiert" sei. Er habe sich entschlossen, für seine politische Zukunft zu kämpfen.
Bei seinem Auftritt in der traditionellen Fragestunde des Parlaments scholl Johnson zuvor von der Labour-Opposition ein vielstimmiges "Geh, geh!" entgegen. Schlimmer für den Premier war jedoch, dass ihn ein Parteifreund, der Tory-Abgeordnete Tim Loughton, mit der Frage anging, ob es überhaupt etwas gebe, das ihn zum Rücktritt veranlassen könne. Johnson antwortete:
Die meisten Tories hörten still zu und zeigten kaum Unterstützung für Johnson. Kritiker warfen ihm vor, sich wie ein Präsident zu gebärden, als er von seinem "Mandat" sprach.
Bislang immer aus Skandalen herausgewunden
In Großbritannien stimmen die Wähler für eine Partei, die dann den Regierungschef stellt, der Premier wird nicht direkt gewählt. Johnson hat das Königreich aus der EU geführt und durch die Pandemie gelenkt.
Der 58-Jährige konnte sich bisher immer wieder aus schier ausweglosen Skandalen herauswinden. Vorwürfe einer zu großen Nähe zu Parteispendern blieben ebenso wenig an ihm haften wie Beschwerden, dass er mit Korruptions- und Mobbingvorwürfen konfrontierte Anhänger geschützt habe.
- Die Skandale von Johnson und seiner Regierung
Die Liste der Skandale ist lang. Trotzdem hielten die britischen Konservativen lange an Boris Johnson fest. Nun regt sich immer mehr Widerstand. Eine Chronologie
In der Affäre um trotz strikter Corona-Lockdowns gefeierte Partys in seinem Amtssitz kam es zwar zu dem internen Misstrauensvotum, doch reichte es für ihn noch zum Weitermachen. 41 Prozent der konservativen Abgeordneten hatten aber dafür votiert, ihn abzusetzen.
Johnson-Kenner: Überlebenskünste wie Mönch "Rasputin"
Der frühere Entwicklungsminister Andrew Mitchell verglich Johnsons Überlebenskünste mit denen des russischen Mönchs Rasputin, der zahlreiche Anschläge überlebt hat. Mitchell sagte der BBC:
Johnsons Gegner streben ein neues Misstrauensvotum an. Dafür müssten allerdings die Regeln der Konservativen Unterhausfraktion geändert werden.