Die Tories von Premierminister Johnson fahren bei der Kommunalwahl schwere Verluste ein. Das wird auch Johnson persönlich angelastet, an der Basis brodelt es.
Nun geht es um Boris Johnsons Kopf. Tief sitzt der Schock in seiner Konservativen Partei über spektakuläre Verluste bei der Kommunalwahl. Das schwache Abschneiden der Tories vor allem in London wird dem Premier persönlich angekreidet. Laut spekulieren Parteikollegen bereits über einen Führungswechsel. Für das ohnehin erschütterte Vertrauen in Boris Johnson - Stichwort "Partygate" - ist das Wahlergebnis ein neuer Schlag.
Westminister geht an Opposition
Um die Dimension des Wahlausgangs deutlich zu machen, bemühen Kommentatoren das bisweilen überstrapazierte Wörtchen "historisch". In diesem Fall zu Recht, denn historisch ist es in der Tat, was in London passiert ist. Erstmals seit Jahrzehnten hat die Labour-Partei, national in der Opposition, den Tories die Bezirke Westminster und Wandsworth entrissen.
Ausgerechnet in Westminster, wo er selbst seine Stimme abgegeben hat, könnte Johnson sein persönliches Waterloo erleiden. Der Bezirk hat hohen symbolischen Wert. Zwischen Big Ben und Downing Street schlägt das Herz der britischen Demokratie, die Gegend ist beliebt bei Touristen und begehrt bei Politikern. Künftig hat Labour - zumindest lokalpolitisch - die Kontrolle im Regierungsviertel.
Tories bei Wahl für Skandale abgestraft
Die Niederlage sei ein "Weckruf" für die Tories, twitterte Gavin Barwell, einst Stabschef von Theresa May und nun Mitglied des Oberhauses. Auf der Hand liegt, dass die Wähler die Tories vor allem für die jüngsten Skandale abstraften. Landauf, landab klagten Konservative, dass die "Partygate"-Affäre um Lockdown-Feiern im Regierungssitz, aber auch Sexismus-Vorwürfe gegen die Partei von kommunalen Fragen abgelenkt hätten.
Johnson soll Partys in seinem Amtssitz geduldet, einige auch besucht haben. Seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges sitzt er wieder fester im Sattel.
Vielerorts versuchten sich Kandidaten von Johnson und dem Geschehen in Westminster zu distanzieren. Der Premier tauchte nicht auf Wahlwerbung auf, viele betonten ihre enge Bindung an den Ort. Geholfen hat es häufig nicht. Nach Auszählung von gut der Hälfte der 146 Bezirke, in denen in England gewählt wurde, hatten die Tories im Vergleich zum vorigen Mal bereits 120 Sitze verloren.
Johnson gibt sich demütig
Auch in Schottland steuerten die Konservativen auf eine deutliche Niederlage zu. Während Labour-Chef Keir Starmer sich in London als strahlender Sieger präsentierte und mit Blick auf die für 2024 geplante Parlamentswahl eine Wende ausrief, gab sich Johnson demütig.
Die Partei müsse sich mehr um die Dinge kümmern, die den Menschen wichtig seien, räumte er ein. Johnson, seit 2019 dank eines furiosen Wahlsiegs mit großer Mehrheit im Parlament, will nun Vertrauen zurückgewinnen. Doch die Frage ist, ob seine Partei ihm das zutraut. Eine Möglichkeit, Vertrauen wieder herzustellen, sei ein Führungswechsel, drohte der Tory-Abgeordnete David Simmonds. Mehrere konservative Parlamentarier hatten sich bereits zuvor gegen Johnson ausgesprochen.
Einiges spricht für Johnson
Doch Johnson steht nicht zum ersten Mal unter Druck. Bereits mehrmals konnte sich der 57-Jährige aus schwierigen Lagen befreien. Und auch jetzt sprechen einige Punkte für ihn.
Zwar gab es auch außerhalb von London Niederlagen. Doch hier konnten meist die kleineren Liberaldemokraten profitieren und nicht Labour. Damit dürfte das Ergebnis - auf Landesebene hochgerechnet - für die Tories nicht so heftig ausfallen wie befürchtet. Zudem steht auch Labour-Chef Starmer wegen eines möglichen Bruchs der Corona-Regeln im Fokus von Polizeiermittlungen.
Und noch etwas spricht für den Premier, wie Garnett sagt: "Es gibt immer noch keinen geeigneten Ersatz für Johnson." Zudem könnten seine Anhänger argumentieren, dass es ein Fehler wäre, in Zeiten einer Krise wie dem Ukraine-Krieg einen Führungswettbewerb zu veranstalten.