Tory-Parteitag: Liz Truss und die Lust am Untergang

    Tory-Parteitag in Birmingham :Liz Truss und die Lust am Untergang

    von Andreas Stamm
    05.10.2022 | 08:29
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    Liz Truss hält ihre erste Parteitagsrede als Premierministerin beim Treffen der Tories. Doch die Stimmung dort ist schlecht.

    Die britische Premierministerin Liz Truss hat erst Steuersenkungen angekündigt und sie nach massiver Kritik wieder zurückgenommen - ein mindestens holpriger Start in Sachen Wirtschaftspolitik.05.10.2022 | 2:06 min
    Enthusiasmus an allen Ecken und Enden, die Hallen und Hotels vibrieren: Es findet der alljährliche Parteitag statt - das Hochamt der Konservativen. Man ist unter sich, an der Regierung, eine frisch gekürte Premierministerin dazu, da ist die Stimmung bestens. Normalerweise. Doch nicht viel ist dieses Mal normal auf den Fluren des International Convention Centre in Birmingham.
    Dort, wo sich mehrere Delegierte versammeln, wird oft gestikuliert, viel debattiert. Das ist nicht "typisch Tory", ungewöhnlich für die Partei der Geschlossenheit.
    Kommt man näher, mit einer Kamera im Schlepptau leicht zu erkennen als Journalist, wird es schnell ruhig. Niemand möchte den Eindruck vermitteln, hier sei eine Partei unglücklich über die Wahl der neuen Führung, die schließlich kaum vier Wochen her ist. Doch es gärt, rumort, und die Angst geht um.

    Die Regierung Truss, eine "Shitshow"?

    Bis zu 33 Prozent liegen die Konservativen in den Umfragen hinter der Labour-Partei. Hunderten Abgeordneten droht der Jobverlust, dementsprechend groß ist die Verunsicherung. Ist die Kamera aus, werden viele deutlich – eine "Shitshow" sei die momentane Situation. Steuern senken für die Reichen, mitten in einer Wirtschaftskrise, das sei Selbstmord an der Urne.
    Es ist der erste Parteitag der neuen Regierung, doch schon jetzt rumort es beim Treffen der Konservativen: Rücktrittsforderungen gegenüber Premierministerin Truss stehen im Raum.04.10.2022 | 2:03 min
    Und so rebelliert die Partei, vor allem die Granden in der Fraktion, schon vor Liz Truss' erster Parteitagsrede. Die Hinterbänkler machen deutlich, dass die Senkung des Spitzensteuersatzes keine Mehrheit im Parlament bekommen wird. Es könnte der Anfang vom Ende des Wachstumsplans und vieler anderer geplanter Projekte sein.

    "Thatcher würde sich im Grab umdrehen"

    Dass die neue britische Regierung von Liz Truss Fracking nun erlaubt - das geht wohl doch nicht mit ihrer Partei. Sozialer Kahlschlag droht durch Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, um die Schuldenlast zu drücken. Mehrheitsfähig ist das nicht.

    Nach zwölf Jahren Austerity, knallharter Sparpolitik bei den öffentlichen Ausgaben, ist kein Fett mehr da, das man noch abschneiden kann.

    Anand Menon, Denkfabrik "UK in a changing Europe"

    Mit ihrer radikalen, libertären Ideologie stoße Truss sehr schnell an die Grenzen in den Reihen der Konservativen. So viel soziale Kälte wollen Teile der Partei den Wählern nicht mehr zuzumuten.

    Spitzensteuersatz bleibt doch
    :Britische Regierung macht Rückzieher

    Für ihr Vorhaben, den Spitzensteuersatz für Topverdiener zu streichen, kassierte die britische Regierung viel Kritik. Jetzt vollzieht Finanzminister Kwarteng eine Kehrtwende.
    Kwasi Kwarteng, der Finanzminister Großbritanniens, spricht vor der Jahreskonferenz der Konservativen Partei zu den Medien.
    Das große Problem – die Kehrtwende beim Spitzensteuersatz - löst keines der Probleme. Die Idee des Wachstumspakets bedeutet vereinfacht: Steuersenkungen für Spitzenverdiener und Firmen erzeugen Wachstum. Dadurch steigen die Steuereinahmen stärker als die Verschuldung. So wohl Truss' Theorie. Alles angelehnt an ihr großes Vorbild, Parteiikone Margret Thatcher.
    "Die sich im Grabe rumdrehen würde", erklärt David Willetts von der Wirtschafts-Denkfabrik "Resolution Foundation". Bei einer Inflation von zehn Prozent würde Thatcher erstmal Steuern erhöhen, um dieses Übel zu bekämpfen. Danach stünden wohl Steuersenkungen an, aber alles innerhalb eines Zehn-Jahres-Plans.

    Wirtschaftskompetenz der Regierung Truss scheint ramponiert

    Völlig überhastet und unbedacht, so auch das Urteil der Finanzmärkte über den Wachstumsplan. Doch dieses Urteil hat Auswirkungen im realen Leben: Das Pfund stürzte ab. Die Kreditzinsen für Hunderttausende Hausbesitzer schossen in die Höhe. Die Wirtschaftskompetenz der neuen Regierung erscheint ramponiert, das Vertrauen der Märkte ist dahin.
    Und die Schulden wachsen – denn das 100 Milliarden Pfund-Paket, das die Energiepreise für Privathaushalte und Unternehmen halbwegs erträglich halten soll, ist eingebucht. Doch ohne neue Steuern oder Haushaltskürzungen bleibt nur eins übrig: mehr Geld leihen. Was, dank der selbstverstärkten Krise mit steigenden Kreditzinsen, auch noch teurer geworden ist.

    Viele Tory-Mitglieder nicht angereist

    Kein Wunder also, dass der Applaus aus der Partei verhalten bleibt und die Stimmung eher mies ist. Höchstens zwei Jahre vor der nächsten Wahl. Einen erneuten Sturz der Regierung und damit den oder die fünfte Premier in sechs Jahren, das könnten sich die Tories nicht erlauben, so Professor Menon. Auf ein Wirtschaftswunder dürften sie hoffen, wo auch immer es herkommen soll. Vielleicht ja durch ein schnelles Ende des Kriegs in der Ukraine. Darauf reduzierten sich nun die Gebete der Tories.
    Hohe Energiepreise machen den Privathaushalten zu schaffen. In Großbritannien kündigete die neue Premierministerin Liz Tuss schon vor zwei Wochen an, die Kosten einzufrieren. Heute ist es so weit.23.09.2022 | 2:07 min
    Viele Parteimitglieder sind erst gar nicht angereist. Aus Frust über Truss, oder wegen des Bahnstreiks am Tag ihrer großen Rede. Eines der vielen weiteren Probleme in Großbritannien. Viele Berufsgruppen wollen mehr Lohn und einen Ausgleich für die Inflation. Weitere Streiks sind wohl unvermeidlich.

    Tories wollen Geld von der Presse für Teilnahme

    Auch die Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt hatten mit Streik gedroht. Wenn auch aus einem anderen Grund. Denn erstmals kostet die Teilnahme an einem Parteitag in Großbritannien Geld. 125 Pfund pro Teilnehmer wollten die Tories. Die Proteste, angeführt von der FPA, der Vereinigung der ausländischen Journalisten, stießenbei ihnen auf taube Ohren. Wohl auch, weil die Rücktritte und die Agonie am Ende der Ära Boris Johnson die Parteiverwaltung völlig lahmgelegt hatten. "Aber dass in einem Land, dass sich so sehr seiner Pressefreiheit rühmt, in einer Partei, die so sehr auf die westlichen Werte pocht, dass da der Zugang zur freien Berichterstattung eingeschränkt wird, ist beschämend", erklärt die FPA-Vorsitzende Deborah Bonetti.
    Fast alle haben gezahlt. Vor allem auch, weil die britische Presse sich dem Protest nicht angeschlossen hatte. Und auf dem Parteitag eben viel auf dem Spiel steht. Aber vielleicht ist auch diese Maßnahme ein weiteres Zeichen dafür, dass für die Tories der Gang in die Opposition anstehen könnte. Wo sich Parteien, die zu lange an der Macht waren, oft besonnen haben. Durch eine Art heilsamen Schock.

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