Nach dem Mord am Tory-Abgeordneten Amess hat das Innenministerium versprochen Abgeordnete besser zu schützen. Politiker fordern ein Umdenken in der politischen Diskussionskultur.
In Großbritannien ist nach dem tödlichen Attentat auf den Tory-Abgeordneten David Amess eine Debatte über das Verhältnis zwischen Bürgernähe und Sicherheit von Parlamentariern entbrannt. Auch Kritik an einer toxischen politischen Kultur wurde laut. Der Fall hatte im ganzen Land große Bestürzung ausgelöst.
Hunderte Menschen gedachten am Samstagabend des bei einem Messerangriff getöteten konservativen Politikers in seinem Wahlkreis in der englischen Grafschaft Essex mit einer Lichter-Mahnwache. Amess war am Freitag während einer Bürgersprechstunde in den Räumen einer Methodisten-Kirche im Küstenort Leigh-on-Sea erstochen worden.
Innenministerin: Schutz Abgeordneter verstärken
Innenministerin Priti Patel kündigte an, die Regierung werde "absolut alles unternehmen", um Abgeordnete besser zu schützen. Derzeit werde geprüft, wie Sicherheitslücken geschlossen werden könnten. Dabei werde auch Polizeischutz für Parlamentarier erwogen, so Patel.
Auch Unterhauspräsident Lindsay Hoyle hatte eine Debatte über die Sicherheit von Politikern angemahnt. Es sei aber "essenziell", dass die Abgeordneten ihre Beziehung zu den Bürgern aufrechterhalten könnten, sagte Hoyle. Er selbst habe daher seine Sprechstunde nach dem Attentat auf Amess noch abgehalten.
Britische Abgeordnete, die alle direkt in ihrem Wahlkreis gewählt werden, bieten regelmäßig Sprechstunden mit Bürgern an. Auch die Labour-Abgeordnete Jo Cox war 2016 bei einer Bürgersprechstunde von einem Rechtsextremisten ermordet worden. Das Attentat ereignete sich nur wenige Wochen vor dem Brexit-Referendum.
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Parteien wollen keinen Nachfolger zur Wahl stellen
Premierminister Boris Johnson hatte den Tatort am Samstag besucht. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie der Premier und Konservativen-Parteichef einen Kranz an der Kirche niederlegte, die zum Schauplatz des Messerangriffs auf Amess wurde. Begleitet wurde er vom Oppositionschef Keir Starmer.
Wie die Nachrichtenagentur PA berichtete, wollen weder die Labour-Partei noch die Liberaldemokraten bei der Wahl für den Nachfolger von Amess einen Kandidaten aufstellen. Ein Termin für die Wahl stand zunächst noch nicht fest.
"Toxische Politkultur" in der Kritik
Trotz der demonstrativen Einigkeit in der Reaktion auf das Attentat wurde Kritik an einer toxischen politischen Kultur laut. Unterhauspräsident Hoyle forderte in einem Gastbeitrag im "Observer" am Sonntag einen höflicheren und respektvolleren Umgang im politischen Diskurs.
Die außenpolitische Sprecherin der Labour-Partei, Lisa Nandy kritisierte den Gebrauch des Wortes "Abschaum" ihrer eigenen Vize-Parteichefin Angela Rayners im Zusammenhang mit konservativen Politikern beim Labour-Parteitag im vergangenen Monat.
Boris Johnson habe die Brexit-Gegner während des Ringens um den EU-Austritt in den vergangenen Jahren immer wieder als "Verräter" dargestellt, so Nandy weiter.
Das schaffe eine vergiftete Atmosphäre, in der Leute dazu ermutigt würden, in Parlamentariern keine menschlichen Wesen mehr zu sehen.
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