Hätte Robert Habeck als Spitzenkandidat mehr Stimmen für die Grünen geholt als Annalena Baerbock? Was bleibt vom Spitzenduo nach der Wahl? Ein Kommentar.
Hätte "Mann" zugreifen müssen, ganz am Anfang oder dann später, mittendrin? Oder ist der richtige Zeitpunkt erst nach der Wahl? Das alles sind Fragen, die derzeit Robert Habeck und seine Anhänger bei den Grünen umtreiben oder zumindest umtreiben sollten.
Hätte Robert Habeck mehr Stimmen geholt als Annalena Baerbock, hätten ihm die Wähler eher das Kanzleramt zugetraut, ihm, der doch Regierungserfahrung hat, der Bücher selber schreiben kann, ohne Plagiate, der die Nerven behält bei Gegenwind?
Habeck ließ Baerbock den Vortritt
Klar ist, bei der Kandidatenkür im Frühjahr hätte Habeck keine Chance gehabt, obwohl er derjenige war, der in den drei Jahren zuvor die Partei maßgeblich geformt hat, geeint hat, die Flügelkämpfe beendet hat. Die Partei mehr in die Mitte gerückt hat, die Umfragewerte deutlich verbessert hat. Der Baerbock allerdings auch neben sich Platz gelassen hat, um an ihren Aufgaben zu wachsen. Ungewohnte Einigkeit beim Führungsduo, bis eben zur Kanzlerkandidatinnen-Kür.
Schweren Herzens musste Habeck Baerbock den Vortritt lassen, Frau eben, und jung, und beliebt in der Partei, und zudem noch sicher in den Sachfragen. Faktensicher, so erlebten viele Baerbock vor der Kür. Habeck dagegen schon mal mit deutlichen Wissenslücken, wenn er auf dem falschen Fuß erwischt wurde.
Nach Pannen wirkte Baerbock angespannt
Die Umfragen schienen dieser Entscheidung anfangs Recht zu geben, doch dann folgte der Absturz, zu spät gemeldete Nebeneinkünfte, ein geschönter Lebenslauf, ein Buch voller Plagiate, ein Buch, das keiner braucht. Eine Kandidatin, die sich größer machen will als sie ist, die mit dem Schriftsteller Habeck gleichziehen will. Es ging gründlich daneben.
Baerbock zeigte Nerven, wirkte extrem angespannt, der Eindruck "das Kanzleramt eine oder mehrere Nummern zu groß für sie" verfestigte sich, die Umfragen gingen runter, immer mehr Stimmen waren auch bei Wahlkampfauftritten am Rande zu hören: "Diesmal hätte ich ja die Grünen gewählt, wäre der Habeck angetreten...."
Baerbock verkörperte in den Triells den Neuanfang
Jetzt, kurz vor der Wahl, hat Annalena Baerbock sich wieder gefangen. Jetzt, da sie nicht mehr um Platz 1 kämpft. Jetzt, da klar ist, dass wohl entweder Scholz oder Laschet ins Kanzleramt einziehen werden, wirkt sie gelöster, angriffslustiger. Eben wie man sie kennt aus Zeiten vor der Kür.
- Das Wahlkampf-Triell im Faktencheck
Im Triell gingen sich Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock teils hart an. Wie hielten es die Kanzlerkandidaten dabei mit der Wahrheit? Der Faktencheck zur Sendung.
Haben Grüne und CDU die falschen Kandidaten aufgestellt?
Hätte Habeck den Mut aufbringen sollen, vor zwei Monaten die Revolte wagen und die Kandidatur übernehmen sollen? Hätte er, der Beliebtere, der Erfahrenere, mehr Stimmen gebracht? Müßig. Er hatte den Mut nicht. Er hätte selber seine eigenen Fehler gemacht, hieß es immer wieder im Umfeld. Es bleibt die bittere Erkenntnis, zwei Parteien haben möglicherweise die falschen Kandidaten aufgestellt, die Grünen ebenso wie die CDU.
Wie es dann nach der Wahl weitergeht hängt nun vom Ergebnis ab, landen die Grünen bei nur 14/15/16 Prozent, wird wohl keine so richtige Freude aufkommen. Schönreden wird man das Ergebnis, schließlich wurde es verdoppelt, aber was zählt das schon?
Bröckelt die Einigkeit des Führungsduos?
Robert Habeck ist nun derjenige, der sich längst auf anstrengende Koalitionsverhandlungen vorbereitet, auch z.B. auf ein mögliches Amt als Finanzminister, sich in die Themen einarbeitet, und dann? Hoffen auf die nächste Wahl in vier Jahren?
Noch ein Wahlparteitag, noch eine Woche durch das Land touren, noch einen großen Wahlkampfabschluss in Düsseldorf, dann wird endlich gewählt. Dann endlich wird man wissen, ob die Grünen die richtige Kandidatin ins Rennen geschickt haben, ob es ein Fehler war von Habeck, mutlos zuzusehen, wie Baerbock vieles von dem verspielt, was er in den letzten drei Jahren aufgebaut hat.
Die viel beschworene Einigkeit des Führungsduos wird es wohl so nicht mehr geben nach der Wahl, so oder so.
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