86 Prozent der Grünen-Mitglieder haben dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Teilgenommen an der Abstimmung haben aber gerade mal 57 Prozent. Wie groß ist die Akzeptanz wirklich?
Das Ergebnis sieht man Michael Kellner an. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen strahlt, bevor er überhaupt anfängt zu reden: In der alten Münze verkündet er das Ergebnis der Urabstimmung zum Koalitionsvertrag: 86 Prozent der befragten Mitglieder stimmen für den Eintritt in die Ampelkoalition und die damit einhergehende Verteilung der Ministerien.
Die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck geben sich betont kämpferisch. Der Koalitionsvertrag läute einen Paradigmenwechsel ein, die Abstimmung begreifen beide als Rückenwind, um "der gesellschaftlichen Realität" nach 16 Jahren Großer Koalition endlich mit "Politik auf Höhe der Zeit" zu begegnen.
Die Grünen haben als letzte der drei Ampelparteien dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Bei geringer Wahlbeteiligung stimmten 86 Prozent der Parteimitglieder für den Vertrag.
Botschaft der Grünen: Wandel angehen
Und auch die zukünftigen Minister betonen die Aufgaben, die vor ihnen liegen. Etwa Cem Özdemir Cem Özdemir, der sich als designierter Landwirtschaftsminister neben der ressortübergreifenden Zusammenarbeit zur Krisenbewältigung vor allem dafür einsetzen möchte, seine Partei aus der "Öko-Nische" hervorzuholen. Er sei der Anwalt der Bauern und oberster Tierschützer gleichzeitig, ein kaum zu schaffender Spagat für den überzeugten Vegetarier.
Auch bei den Grünen stimmt die große Mehrheit für den Koalitionsvertrag, obwohl einige grüne Kernpunkte nicht durchgesetzt werden konnten. Dazu ZDF-Korrespondent Theo Koll.
Die Botschaft an diesem Montag ist klar: Die Grünen sind bereit, bedeutende gesellschaftliche Transformationen anzugehen. Doch ein Manko bleibt der Abstimmung inne: zwar nennt Kellner das Ergebnis "ein klares Votum für den Koalitionsvertrag und die designierten Ministerinnen und Minister". Doch nur knapp über die Hälfte der rund 126.000 Mitglieder, nämlich 57 Prozent, nahmen überhaupt daran teil. War es dem Rest einfach egal?
Kritik von Parteijugend nach Vorstellung von Koalitionsvertrag
Tatsächlich lassen die vergangenen Wochen eine gewisse Alternativlosigkeit erkennen. Bereits kurz nach der Vorstellung des Koalitionsvertrages hagelte es Kritik, etwa auf dem Länderrat der Grünen Jugend: kein Tempolimit, keine Abschaffung von Hartz IV, ein Kohleausstieg, der nur "idealerweise" 2030 umgesetzt werden soll.
Großer Unmut auch über die Verteilung der Ressorts: dass das für den Klimaschutz so essenzielle Verkehrsministerium ausgerechnet an die FDP geht, deren designierter Verkehrsminister Volker Wissing nun auch noch verlauten lässt, er sehe sich als "Anwalt der Autofahrer", sorgt für Unverständnis an der Basis. Trotz allem empfiehlt die Parteijugend ihren Mitgliedern, für den Koalitionsvertrag zu stimmen.
Gelingen der Ampelkoalition mit SPD und FDP alternativlos
Das Dilemma, in dem die Partei steckt, bringt eine Rednerin des Länderrates auf den Punkt: wenn es nicht anders geht, muss man eben "aus Mist Kompost machen". Anders gesagt: das Gelingen der Ampelkoalition ist alternativlos, nun muss das Beste daraus gemacht werden.
Für progressivere Bündnisse fehlt die Mehrheit, die einzige andere denkbare Konstellation wäre Jamaika - oder Neuwahlen. Und das, während das Land in einer nie dagewesenen Gesundheitskrise steckt und die Rufe nach entschlossenem Handeln nicht abreißen.
Erinnerungen werden wach an 2017, als die FDP das Aus für die Jamaika-Verhandlungen verkündete und mit sinkenden Umfragewerten abgestraft wurde. Für die Grünen stand schlicht zu viel auf dem Spiel, als dass man die Koalition jetzt noch hätte scheitern lassen können. Worauf sich die Grünen nun aber definitiv einstellen müssen, ist Opposition aus der eigenen Partei.
Breite Zustimmung der Grünen-Basis auf wackeligen Beinen
Insbesondere die Jugendbewegung will weiter für linke Themen, die im Koalitionsvertrag zu kurz kamen, kämpfen, kündigt Bundessprecherin Sarah-Lee Heinrich an:
Und auch der linke Flügel muss befriedet werden, nachdem Anton Hofreiter bei den Ministerposten leer ausging. Inhaltlich müssen die Grünen nun liefern, beim Thema Klimaschutz, aber auch in sozialen Fragen. Sonst könnte es schon bald wieder vorbei sein mit der angeblich so breiten Zustimmung der Basis, auf die Michael Kellner am Montag noch so stolz war.
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