Bundeswirtschaftsminister Habeck sucht dringend nach Ersatz für russisches Öl und Gas in moralisch bedenklichen Ländern wie Katar. Was sagen Experten für Wirtschaftsethik dazu?
Es ist eine Reise, die das gesamte Dilemma der Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Energieträgern widerspiegelt. Ausgerechnet ein grüner Wirtschaftsminister geht in Ländern Klinken putzen, denen deutsche Politiker vor kurzem noch hauptsächlich vorwarfen, die Menschenrechte mit Füßen zu treten.
Es hat fast etwas von einem persönlichen Gang nach Canossa für Robert Habeck. Aber Teil der Wahrheit ist auch: Es gibt keine Alternativen. Die Sachzwänge haben den deutschen Wirtschaftsminister sozusagen in den Schwitzkasten genommen. Er muss einerseits dafür Sorge tragen, dass Deutschland im nächsten Winter nicht friert und andererseits möglichst im Eiltempo wegkommt vom Energielieferanten Putin.
"Aggressor systematisch isolieren"
Aber kann man den Deibel sozusagen mit dem Beelzebub austreiben? Eine Frage, die auch die Wirtschaftsethiker umtreibt. Für Thomas Beschorner von der Universität St. Gallen wären behelfsmäßige Lieferungen aus dem arabischen Raum in Ordnung, denn:
Für seinen Kollegen Martin Kolmar hat man viel zu spät verstanden, dass kurzfristige wirtschaftliche Interessen auch fatale langfristige Folgen haben können. "Nun steht man aber, wo man steht, und muss versuchen, die Schäden zu minimieren und Zeit zu gewinnen. In diesem Kontext sehe ich Habecks Versuch, Deutschlands Abhängigkeit von russischen Energielieferungen kurzfristig zu lockern".
Ist LNG eine Alternative zum russischem Erdgas? Das Grafikvideo zeigt, woher unser Erdgas eigentlich kommt. Es erklärt, was LNG ist und zeichnet den Weg von der Förderung bis zur Einspeisung.
Katar und Emirate ähnlich problematisch
Philipp Aerni von der School of Management Fribourg hält Öl und Gas aus Katar aus ethischer Sicht für ähnlich problematisch wie russische Energieträger: "Katar war schon immer einer der wichtigsten Geldgeber des radikalen Islamismus im Nahen Osten. Und die Emirate werden irgendwann dafür Rechenschaft ablegen müssen, dass sie mit Äthiopien und Eritrea zwei Regimes unterstützen, die derzeit daran sind, einen Massenmord in der Tigray-Region zu begehen."
Diese "katastrophale Situation" in dieser Region tauche aber im "europäischen Sorgenbarometer" nicht auf und scheine deshalb auch "nicht zu existieren".
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Schluss mit fossiler Energie
Deutschland steckt als Exportnation ohne große Rohstoffvorkommen allerdings in einer Zwangslage. Man braucht Handelspartner wie die Luft zum Atmen. Gleichzeitig muss man aber in Zukunft noch stärker darauf achten, wie man Abhängigkeiten in der Energieversorgung vermeidet. Dies bedeutet einerseits Diversifizierung bei den Lieferanten und andererseits einen noch schnelleren Weg zur klimafreundlichen Versorgung finden.
Für die Wirtschaftsethik heißt deshalb die Schlussfolgerung: Weg von fossilen Energieträgern, hin zu Erneuerbaren. Philipp Aerni meint dazu: "Dieser Krieg zeigt einmal mehr, dass Länder, deren Staatseinnahmen primär aus dem Export von fossilen Energieträgern stammen, in den meisten Fällen totalitäre Regimes hervorbringen, die durch Aggressionskriege und andere Interventionen im Ausland nicht nur geopolitische Instabilität erzeugen, sondern sich als Fluch für das eigene Volk erweisen."
Für Martin Kolmar ist der "schnelle und konsequente ökologische Umbau unserer Gesellschaften" nicht nur der einzige Weg, "unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft zu hinterlassen", sondern auch zentral dafür, das "demokratisch-liberale Gesellschaftsmodell mit den ihm zugrunde liegenden Werten zu schützen".
Klaus Weber ist Mitglied der ZDF-Redaktion Wirtschaft und Finanzen
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