Zwölf Minuten brauchte ein rassistischer Täter, um am 19. Februar in Hanau neun Menschen zu töten. Wie ist die Stimmung fünf Monate danach? Dunja Hayali hat sich ein Bild gemacht.
Wenige Monate nach den Morden in Hanau will ich der Stadt den Puls fühlen. Was hat die brutale Tat mit den Bürgern gemacht? Wie geht es den Angehörigen der Opfer und denen, die den Anschlag überlebt haben?
Ich besuche das Evangelische Jugendzentrum k-town im Stadtteil Kesselstadt, aus dem die Opfer des Anschlags sowie der Täter Tobias R. kommen. Vor dem Anschlag ein sehr lebendiger Teil von Hanau, erfahre ich - jetzt ist er aus dem Rhythmus geraten.
Boxen gegen Trauer und Ohnmacht
Von außen ein in die Jahre gekommener roter Ziegelsteinbau mit Graffitis. Drinnen schlagen Jugendliche auf Boxsäcke ein. Eigentlich war das Zentrum immer ein Symbol für das gute Miteinander in einem bunten Stadtteil. Jetzt spüre ich hier Ratlosigkeit und Ohnmacht. "Jeder kennt jeden und alle haben sich hier sehr sicher gefühlt", sagt Sozialarbeiterin und Boxtrainerin Antje Heigl. Der Anschlag sei "wie ein Schuss ins Herz" gewesen:
"Er" ist Tobias R., der am 19. Februar neun Menschen mit Migrationsgeschichte sowie seine Mutter und sich selbst getötet hat. Für die Angehörigen und Freunde der Opfer bleibt unfassbar: Der Täter lebte in der Nachbarschaft. Bis vor zwei Jahren habe es in der Gegend kaum Probleme mit Rassismus und Hass gegeben.
Hanau, Halle, Kassel – drei rechte Angriffe innerhalb von neun Monaten zeigen: Deutschland hat ein Problem mit Rechtsextremismus. Die ZDFinfo-Doku folgt den Spuren und Folgen der Taten.
Erinnerung an die Opfer hochhalten
Ich besuche eine Initiative von Angehörigen der Opfer: Das "Institut für Toleranz und Zivilcourage 19. Februar e.V." will Begegnungsort sein, helfen und sich gegen Rassismus einsetzen. Die neuen Räume kamen von der Stadt. Gemeinsames Streichen helfe ein bisschen gegen den Schock, erzählt mir Armin Kurtović, Vater des ermordeten 22-jährigen Hamza.
Während er mit anderen Angehörigen die Wände weißt, macht er seinem Ärger Luft. Besonders unverständlich für ihn: Wenige Monate vor der Tat habe Tobias R. ein Pamphlet an die Bundesanwaltschaft geschickt und zwei Wochen vor der Tat ins Netz gestellt - mit Verschwörungstheorien und eindeutig rechtsextremen Inhalten.
"maybrit illner spezial“ mit dem Thema „Anschlag in Hanau: Rechter Terror außer Kontrolle?“ vom 20. Februar 2020, um 22:35 Uhr im ZDF.
Niemand bei den Behörden schien die Gefährlichkeit des späteren Täters ernst zu nehmen. Auch seine Waffenbesitzkarte konnte er offenbar behalten.
fordert Armin Kurtović. Fünf Monate nach dem Anschlag seien immer noch zu viele Fragen offen, höre ich von vielen Angehörigen. Sie sind überzeugt, die Behörden hätten einfühlsamer und besser reagieren müssen, behandelt habe man sie "wie Bürger zweiter Klasse."
Nach Anschlag in Hanau: "Wir sind alle mit ihnen gestorben"
So wie Emiş Gürbüz fühlen viele:
Gürbüz sagt weiter: "Wir leben, aber wir sind auch wie eine Leiche." Im Gespräch mit den Familien der Opfer fällt es mir wirklich schwer, Worte zu finden. Da ist so viel Schmerz und Wut - und noch so wenige Antworten.