Protestwelle ebbt ab: War's das nun mit dem "heißen Herbst"?

    Protestwelle ebbt ab:War's das nun mit dem "heißen Herbst"?

    Oliver Klein
    von Oliver Klein
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    Seit Wochen kommen immer weniger Menschen zu sogenannten "Heißer-Herbst"-Demos. Offenbar besänftigen staatliche Hilfspakete. Doch Protestforscher warnen: Ein harter Kern bleibt.

    Polizei stoppt rechte Demo in Leipzig
    Demonstration in Leipzig am Wochenende - 15.000 waren angemeldet, rund 1.000 kamen.
    Quelle: dpa

    Es sollte einer der Höhepunkte der Protestwelle des sogenannten "heißen Herbsts" werden. 15.000 Menschen waren für die Demonstration am Samstag in Leipzig angemeldet. Unter dem Motto "Ami go home" sollten die USA aufgefordert werden, ihre Truppen und Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Am Ende kamen laut Polizei rund 1.000 Menschen, der Gegenprotest sei "deutlich größer" gewesen.
    Seit Monaten trommeln Linke und Rechte für einen "heißen Herbst", organisieren Proteste gegen die Bundesregierung, gegen steigende Preise, gegen die deutsche Russland-Politik und die Sanktionen. Doch die befürchteten Massenproteste mit Hunderttausenden Teilnehmern oder gar Volksaufstände sind ausgeblieben.
    Der bisherige Höhepunkt war am 3. Oktober, zum Tag der Deutschen Einheit: In Ostdeutschland gingen da insgesamt in verschiedenen Städten noch über 100.000 Menschen auf die Straßen. In Städten wie Leipzig, Magdeburg, Gera oder Plauen war der Protest zunächst heftiger als in Westdeutschland.

    Immer weniger Menschen bei Protestaktionen

    Doch seitdem kühlt der "heiße Herbst" ab, wird mehr und mehr zu einem "lauen Lüftchen": Zu vielen Demonstrationen kamen zuletzt nur noch wenige Hundert Menschen, und es werden zur Zeit von Mal zu Mal weniger, wie eine Auswertung des MDR zeigt. In Schwerin wurden montägliche Proteste gegen die Energiepolitik mangels Teilnehmer ganz abgesagt.
    Dennoch betonen die Veranstalter ihre bisherigen Erfolge: So hätten unter dem Motto "Unser Land zuerst!" rund 10.000 Menschen aus ganz Deutschland in Berlin "gegen die desaströse Politik der Ampel-Koalition" demonstriert, resümiert AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla stolz. Auch Linkenchef Martin Schirdewan sagt: "Unser Druck hat gewirkt, die Bundesregierung hat sich bewegen müssen."

    Hilfspakete dämpften Protest

    Auch die Entscheidungen der Bundesregierung haben wohl dazu geführt, dass die Proteste immer weniger Zuspruch finden. Dass die Demonstrationen zwischenzeitlich so einen großen Zulauf hatten, war "teilweise getrieben von finanzieller Unsicherheit, von den Ängsten der Menschen", erklärt der Protestforscher und Kultursoziologe Alexander Leistner von der Universität Leipzig im Gespräch mit ZDFheute.
    Diese Ängste haben nun offenbar abgenommen, durch die Hilfspakete der Politik, beispielsweise die Entlastung bei den Gaspreisen im Dezember oder die Ankündigung des milliardenschweren "Doppelwumms" gegen hohe Gas- und Strompreise. Auch die Nachricht über die vollen Gasspeicher hätten die Sorgen der Menschen etwas reduzieren können, sagt Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD).
    Menschenmenge steht bei einer Protestveranstaltung auf dem Marktplatz von Annaberg in Sachsen
    Energiepreise, Inflation, Krise: In Ostdeutschland gehen dagegen viele Menschen auf die Straße. Zu den Demos mobilisieren neben der AfD auch rechtsradikale Gruppierungen. 05.11.2022 | 5:01 min

    Harter Kern an Demonstranten bleibt

    Dennoch sei nun ein harter Kern von Protestierenden übrig - eine Gruppe, die sich durch die Corona-Proteste radikalisiert habe und zu denen auch Rechtsextreme gehören, so Leistner: "Man hat den Eindruck, das Protestthema an sich ist fast egal - Corona, Flüchtlinge, Russland-Politik - die suchen sich die Themen, die als Minimalkonsens funktionieren. Hauptsache, es geht gegen 'die da oben', also eine vermeintliche Elite, die alles steuert, gegen die Interessen des Volkes."
    Genau dieses Muster habe man auch bei der "Ami go home"-Demonstration gesehen, bei der die Verschwörungstheorie verbreitet wurde, Deutschland sei kein souveräner Staat, sondern von den USA gesteuert.
    Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer beschrieb es bei einer Berliner Konferenz Mitte November so: "Während es am Anfang um die Flüchtlingsfragen ging 2015, Euro eine Rolle spielte, also Währungsfragen, kam dann ganz schnell die Frage: Wie sieht es jetzt aus mit der Pandemie? Wir haben dann ein bisschen Wetten laufen gehabt, dass als nächstes die 'Klimadiktatur' kommen würde.
    Da konnte noch niemand ahnen, dass auf einmal der russische Angriffskrieg vor der Tür steht. Aber den hat man sich auch ganz schnell unter den Nagel gerissen und instrumentalisiert."

    Forscher: Radikalisierung der Proteste bedroht Gesellschaft

    Genau deshalb werden die Proteste auch nicht aufhören, erwartet Leistner. Der harte Kern an Demonstrierenden würde auf der Straße bleiben, zudem sei nicht ausgeschlossen, dass sich die Energiekrise oder die Flüchtlingssituation auch noch mal verschärfe.
    Das beunruhigende Problem sieht Leistner jedoch darin, dass sich das gesellschaftliche Klima verändert habe, insbesondere in ostdeutschen Kommunen, in denen regelmäßig protestiert werde: "Wir beobachten Radikalisierungsprozesse, da werden Lokalpolitiker eingeschüchtert, zum Handeln gedrängt. Die Zivilgesellschaft gerät in die Defensive." Und diese Gefahr bleibt mitunter - auch, wenn die Proteste insgesamt weniger Zulauf bekommen.
    Mit Material von dpa