Die Linke hat die Hälfte ihrer Parteispitze verloren: Susanne Hennig-Wellsow ist zurückgetreten. Nun wird es auch für Janine Wissler eng. Die Partei steht vor einer Zerreißprobe.
In der Parteizentrale, im Berliner Karl-Liebknecht-Haus, wusste offenbar niemand etwas davon. Selbst langjährige Parteifreundinnen wie Martine Renner, immerhin stellvertretende Parteivorsitzende, war überrascht. Als Susanne Hennig-Wellsow am Mittag ihre Rücktrittserklärung vom Co-Parteivorsitz veröffentlichte, hatte die Linke eigentlich ein anderes Thema: die Aufarbeitung der sexuellen Missbrauchsvorwürfe.
Nun hat mit Hennig-Wellsow eine im Führungsduo die Konsequenz gezogen, die man eigentlich von ihrer Mit-Vorsitzenden erwartet hätte: von Janine Wissler. Sie stand seit Ostern im Zentrum des #Linkemetoo-Skandals, nicht Hennig-Wellsow. Deren Rücktritt zu diesem Zeitpunkt kommt überraschend. Und zeigt, wie zerfleddert die Partei ist.
Bilanz: Schlechtes Wahlergebnis, kein Flügel-Frieden
Allerdings war Hennig-Wellsow innerhalb der Linken nicht unumstritten. Zu wenig Kompetenz in Sachfragen hatte man ihr vorgeworfen, als sie zum Beispiel in Interviews mal die Steuerpolitik, mal die Bundeswehreinsätze nicht erklären konnte.
Zusammen mit Wissler hatte die im Februar 2021 die Parteispitze übernommen. Schon damals waren die Linken tief zerstritten. Gerade Hennig-Wellsow hatte sich um eine Aussöhnung mit Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht bemüht, was aber nicht gelang.
- "Putin verstehen" mit der Linken
Im Russland-Ukraine-Konflikt stehen linke Abgeordnete öffentlichkeitswirksam an der Seite Moskaus. Verständnis für Putin ist in Teilen der Partei noch immer hoch im Kurs.
Unter Wissler und Hennig-Wellsow erreichte die Linke bei den Bundestagswahlen im vorigen Herbst das schlechteste Ergebnis seit 2002: Die einstige Ost-Partei bekam noch nicht einmal mehr fünf Prozent und zog nur wegen ihrer drei gewonnen Direktmandate in das Parlament ein. Der Traum von einer rot-rot-grünen Bundesregierung ferner denn je.
Seitdem sprach die Partei von Neuaufstellung. Der Schlingerkurs zwischen Verständnis für Russland von Gregor Gysi oder der bemühten Profilierung als Antikriegspartei seit Beginn des Ukraine-Krieges von Dietmar Bartsch zeigte, dass dies bislang nicht gelungen war.
Der Sexismus-Vorwurf, der offenbar nicht nur Wisslers Landesverband Hessen betraf, kam zur Unzeit. Und traf eine Partei, die sich als feministisch und antisexistisch versteht, tief.
Ein Rücktrittsgrund: Neue Gesichter für Partei
Für Hennig-Wellsow war der #Linkemetoo-Skandal einer von drei Rücktrittsgründen. In ihrer Erklärung schrieb sie:
"Ich entschuldige mich bei den Betroffenen und unterstütze alle Anstrengungen, die jetzt nötig sind, um aus der Linken eine Partei zu machen, in der Sexismus keinen Platz hat", so Hennig-Wellsow.
Erster Grund für den Rücktritt ist laut Hennig-Wellsow aber ihre private Lebenssituation. Ihr achtjähriger Sohn habe ein "Recht auf Zeit mit mir", sie könne derzeit nicht "mit der Kraft und der Zeit für meine Partei" da sein, wie "es in der gegenwärtigen Lage nötig ist".
Ein weiterer Grund: Es brauche neue Gesichter in der Partei, um glaubwürdig zu sein. Die vergangenen Monate seien "eine der schwierigsten Phasen in der Geschichte unserer Partei" gewesen. Erneuerung sei nun nötig.
Für Wissler wird es eng
Für Co-Vorsitzende Janine Wissler dürfte es nun eng werden. Am Abend trifft sich der Parteivorstand, Ende Juni kommt die Linke zu einem Parteitag in Erfurt zusammen. Noch sagt die Linke nicht viel zum Rücktritt von Hennig-Wellsow. Sahra Wagenknecht twittert lieber zu Julian Assange. Gregor Gysi lässt über das Redaktionsnetzwerk Deutschland wissen, Hennig-Wellsow sei ohnehin nicht glücklich in ihrer Funktion gewesen.
Immerhin: Sarah Dubiel, Bundessprecherin der Linken-Jugendorganisation, zollte Hennig-Wellsow Respekt für den Rücktritt. Gerade weil sie Verantwortung für den Missbrauchsskandal übernommen habe. "Das sagt doch gerade auch wieder alles aus, dass vor allem ANDERE gehen sollten, aber Susanne geht, oder?", twittert Dubiel.